Tschechien kommt in die EU
Autor : Joyce Mariel E-mail: redaktion@e-politik.de Artikel vom: 27.06.2003
Die Tschechische Republik hat sich mit überwältigender Mehrheit für den Beitritt zur Europäischen Union entschieden. Stimmten die Wahlberechtigten des Landes aus Notwendigkeit oder aus Überzeugung für den Beitritt? Eine Analyse von Joyce Mariel.
Wenn man die tschechische Sprache betrachtet, liegen das Wort für können („mužet“) und das Wort für müssen („musit“) phonetisch nicht weit auseinander. Und auch bei der Volksabstimmung, die über den Beitritt zur Europäischen Union entschieden hat, mag sich so mancher Bürger gefragt haben: „Können oder müssen wir der Europäischen Union beitreten?“ Als die Wahllokale am Samstag, den 14. Juni um 14.00 Uhr schlossen, hatten sich 77% für den Beitritt zum Bündnis entschieden. Doch EU-Euphorie lag selten in der Luft.
Skepsis
EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen brachte die Meinung der Bürger auf den Punkt: „Wenn es einen Nobelpreis für Skeptizismus gäbe, würden ihn die Tschechen jedes Jahr bekommen.“ Sowohl die Regierung als auch die Medien hatten sich im Vorfeld des Referendums zwar bemüht, die Zweifel der Bevölkerung auszuräumen. Doch so recht wollte es beiden nicht gelingen. Die Werbespots der Regierung starteten zu spät. Und der Überzeugungsarbeit der großen Medienkonzerne misstrauten die Menschen auf der Straße; sind doch Zeitungen und Zeitschriften überwiegend in der Hand deutscher oder österreichischer Verlage. So war der Ausgang der ersten Volksabstimmung in der Geschichte der Tschechischen Republik bis zuletzt unklar. Der sozialdemokratische Ministerpräsident und EU-Befürworter Vladimír Špidla versuchte noch persönlich, so viele Menschen wie möglich zu den Wahlurnen zu bringen: „Die Abstimmung beim Referendum ist keine Pflicht, sie ist ein Recht.“ Das Recht, über die politische Zukunft ihres Landes zu entscheiden, nahmen immerhin 55% aller Wahlberechtigten wahr. Nur folgt dem Ja zur Europäischen Union jetzt ein Aber. Obwohl die Notwendigkeit eines Beitritts von der Bevölkerung erkannt wurde.
Angst vor dem Beitritt
Ewald Trojansky, ein Kommentator der deutschsprachigen „Prager Zeitung“ stellt die Vorteile einer Mitgliedschaft der Tschechen in der Europäischen Union ironisch heraus: „Durch die große mediale proeuropäische Seelenmassage wissen die Tschechen mittlerweile, dass es ein Fortschritt ist, wenn sie in Zukunft unter der Bezeichnung Rum Hochprozentiges aus Zuckerrohr bekommen und nicht ordinären Kartoffelschnaps.“ Was vielen Bürgern im Land noch nicht klar ist, ist, wie viel staatliche Souveränität für das Brüsseler Bündnis aufgegeben werden muss, ob die Lebenserhaltungskosten steigen und ob sie vor allem vom großen Nachbarn Deutschland wie Bündnispartner zweiter Klasse behandelt werden. Zu frisch sind immer noch die Erinnerungen an die eingeschränkte staatliche Handlungsfreiheit als Satellitenstaat Sowjetrusslands, zu groß die Vorbehalte gegen die Brüsseler Agrarbürokratie.
Hável gegen Klaus
Wieder einmal war es an Alt-Präsident Václav Hável, zur politischen Symbolfigur zu werden. „Das Gerede vom Verlust der Souveränität ist ungehörig, nur Gauner müssen sich davor fürchten!“ redete er seinen Mitbürgern Mut zu. Den Polit-Rentner mag sicher auch alte Feindschaft gegenüber seinem Amtsnachfolger zum Rednerpult getrieben haben. Staatspräsident Klaus, der sich selbst in der Vergangenheit euphemistisch als „Euroskeptiker“ bezeichnet hatte, blieb überraschend zurückhaltend. Das Abstimmungsergebnis kommentierte er nicht. Doch bleibt dem aufmerksamen Betrachter vor allem ein früherer Ausspruch in Erinnerung: „ Europa will die USA einholen und überholen, was die Parole des kommunistischen Blocks noch unter Stalin und Chruschtschow war.“ Und so kam es zu einer überraschenden Koalition: der nicht besonders beliebte Staatspräsident sprach zum ersten Mal seit langem mit seinen Vorbehalten gegenüber dem Beitritt Tschechiens der Mehrheit der Bevölkerung aus der Seele. Und auch das Parteiprogramm von Klaus´ rechtskonservativer ODS spricht mit Volkes Stimme: „Am Prozess der europäischen Integration hätten wir sicher schon von Anfang an teilgenommen, wenn wir nicht vom Kommunismus daran gehindert worden wären. Wir unterstützten die Erweiterung der EU, wollen aber einen eigenständigen tschechischen Staat bewahren.“
Können oder müssen?
Die Tatsache, dass keine gleichwertigen Alternativen zum EU-Beitritt bestanden, ließ die Beitrittsbefürworter letztlich so klar gewinnen. Zu groß wäre vor allem der wirtschaftliche Schaden gewesen, wenn die Mehrheit gegen die Union gestimmt hätte. Vor allem der Blick auf den positiven Ausgang des EU-Referendums beim Nachbarn Polen ließ diese Überzeugung bei der Mehrheit der Wahlberechtigten reifen. Doch für Tschechien ist das Bündnis mehr eine Zweckehe als eine Liebesheirat. Nun liegt es an Brüssel den neuen Partner adäquat in die Strukturen der Union einzubinden.
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