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Wohnheim in Prag

Die Prag-Tagebücher, Folge 4

Autor :  e-politik.de Gastautor
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 31.01.2002

Wenn einer eine Reise tut... Studentin Joyce Mariel berichtet für e-politik.de von ihrem Erasmus-Studium in Prag. Ein kleines elektronisches Tagebuch.


Meine Lieben,

es ist mal wieder Donnerstag, das Warten hat ein Ende, ich melde mich mal wieder aus unserem kleinen Nachbarland.

Ich kann über dieses kleine gastliche Land ja nichts wirklich Schlechtes sagen. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung geht trotz fehlendem Soli-Beitrag steil nach oben, die Kohlschen blühenden Landschaften haben sich ein bisschen weiter nach Süden verlagert, als er eigentlich wollte. Trotz regional teilweise hoher Arbeitslosigkeit (zwischen 30-40%) geht's diesem Ländle eigentlich nicht schlecht. Nur manchmal tun sich klaffende Lücken auf, vor allem wenn der aufmerksame Betrachter bis zur Substanz vordringt - bis zur Bausubstanz unseres Wohnheims ...

Es begann eigentlich ganz harmlos. Bei meinem Einzug stellte ich fest, dass mein Zimmer für zwei Leute ausgelegt ist, aber nur ein Stuhl zur Verfügung steht. Als meine Zimmergenossin einzog (Ende September) wies ich in gebrochenem Tschechisch darauf hin, dass wir Zwei doch gerne zur Pflege deutsch-skandinavischer Beziehungen (Jungs: sie ist eine süße Schwedin!) einen zweiten Stuhl hätten. O-Ton in Original-Übersetzung: "Wir sind zwei Mädchen. Wir wohnen in Zimmer 46 A in Block 3. Wir haben nur einen Stuhl. Wir brauchen einen zweiten Stuhl." Der freundlich nickende Herr verwies mich auf zitra - zu deutsch morgen - und seitdem pilgern wir beide in regelmäßigen Abständen zu den verschiedensten Leuten, um immer wieder das selbe Wort zu hören - zitra. Tomorrow never dies! Schlimm wurde die zitra-Masche nur, als uns an einem Samstag die Klospülung kaputt ging. Die Details, wie wir trotzdem unsere Klospülung selbst wieder flott bekamen, erspare ich euch lieber.

Unseren Lift habe ich mittlerweile auch richtig ins Herz geschlossen. Entweder der Gute hält zu weit oben und man fällt erst mal auf die Nase, weil man sich nicht auf diese Extra-Stufe eingestellt hatte. Oder er hält zu weit unten, so dass man erst mal aus einer Art Hades ans Licht steigen muss. Außerdem fehlt der Erdgeschoss-Knopf und dazu das gesamte Erdgeschoss, der Eingang meines Wohnheims ist auf ebener Erde im ersten Stock. Unverständlich ist nur, warum meine Arbeitsstelle dann ein Erdgeschoss hat. Spezialität einer früheren Planwirtschaft? "Und deshalb verleihe ich dem ehrenwerten Genossen Hirasek den Orden der verdienten sozialistischen Arbeiter, weil er sich mit seiner ganzen Kraft dafür eingesetzt hat, dass unser Land zum Kampf gegen den westlichen Imperialismus mit Erdgeschossen ausgestattet wird!"

Die kaputten Telefone und Automaten erwähne ich hier nur am Rande. Das Grauen packte uns dann alle in dieser Woche, weil das Plansoll für warmes Wasser wohl nicht erfüllt worden war. Am besagten Lift hing ein unscheinbarer Zettel, der ankündigte, dass es auf unbestimmte Zeit kein warmes Wasser geben werde. Die mutigen unter den Studenten erkennt man an frischgewaschenen, die Mimosen an ungewaschenen Haaren. Und was sagte der lächelnde Mann an der Pforte auf die Frage, ob es denn schon absehbar sei, wann das warme Wasser wieder laufen würde? Ihr könnt es euch fast denken ... zitra!

Joyce

Fortsetzung folgt



Zur Folge 3 der Prag-Tagebücher

Zur Folge 5 der Prag-Tagebücher

Foto: Copyright bei Joyce Mariel / e-politik.de


   


Leserkommentar von Chris 57 b
am 05.02.2002
So schlimm is gar nicht!

Ok die erste Woche war nicht so ermutigend. Aber mittlerweile hab ich mich an alles gewoehnt, sogar an den Aufzug und die verrueckten Kinder von gegenueber. :-) Ahoj

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