Die Österreichische Volkspartei (ÖVP) hat ein Problem. Nachdem es nicht mehr gilt, vor allem die Stammwählerschaft für eine große Koalition zu mobilisieren, muss sich der Steigbügelhalter der "Freiheitlichen" um das eigene politische Profil sorgen. Nachdem "links" und "rechts" besetzt sind, heißt der Ausweg auch hier: Die Mitte. So zumindest sieht das der Leiter der Politischen Akademie der ÖVP, Dr. Günther Burkert-Dottolo. Ist der neue Pragmatismus mehr als nur eine Verlegenheitslösung?
e-politik.de sprach mit dem Vertreter des liberalen, technokratischen Flügels der Partei über die Bedeutung der gegenwärtigen politischen Zäsur in seinem Land und über die künftige Rolle der ÖVP. Seine optimistische These: Die Partei kann und muss durch Sachpolitik glänzen.
e-politik.de: Was wir gegenwärtig in Österreich erleben, ist das ein Schritt zur Normalisierung, zu einer Demokratisierung im westlichen Sinn, oder ist etwas Neues entstanden?
Burkert-Dottolo: Ich würde das im Vergleich mit den anderen europäischen Staaten als Normalisierung empfinden. Normalisierung insofern, als wir in eine Konfliktdemokratie kommen, endlich nach diesen vielen Jahren die Konsensdemokratie ein wenig verlassen. Hier werden nun nahe Interessensgegensätze sicherlich mehr sichtbar als früher in diesen vielen Gremien, wo man versucht hat, alles vorweg schon auszuräumen und den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.
e-politik.de: Die Konsensdemokratie war in den vergangenen 50 Jahren sehr dauerhaft. Glauben Sie nicht, dass diese Institution zu sehr verankert ist, als dass man sie jetzt durch Koalitionswechsel auflösen könnte - von heute auf morgen?
Burkert-Dottolo: Von heute auf morgen ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Man sieht aber auch schon, dass der kommende Wirtschaftskammerpräsident seinen Funktionären nun die Wahl gelassen hat, entweder sie sitzen im Parlament oder sie sind Präsidenten in den Ländern. Das ist eine Entkoppelung von Funktion und Mandat, also auch ein weiterer Schritt, die Interessengegensätze wieder im Vorfeld und das Parlament wieder zu einem Parlament werden zu lassen.
e-politik.de: Hat nicht die ÖVP im Vergleich zur FPÖ besonders viel zu verlieren, wenn sie auf diese Ämter und die Verbindungen zu den gesellschaftlichen Institutionen verzichten muss?
Burkert-Dottolo: Das Verlieren kann immer passieren. Ich gehöre eher zu der optimistischen Gruppe in der ÖVP, die glaubt, dass man sich öffnen muss. Indem man die Gruppen bedient, die man immer bedient hat, nämlich die Stammwählerschaft - im weitesten Sinn die Bauern, Gewerbetreibende und ein paar Beamte - sieht man nicht, welche Chancen diese Partei in dem neuen Feld der leistungsorientierten jungen Menschen hat.
e-politik.de: Der neue Koalitionspartner FPÖ könnte darauf dringen, in diese Konkordanzstruktur eingebunden zu werden. Dann ist es nur ein Konsens in die andere Richtung. Halten Sie das für ausgeschlossen?
Burkert-Dottolo: Da alle Wahlkämpfe der FPÖ bisher als zentralen Punkt die Abschaffung dieses Proporzes und das Abschaffen von Privilegien hatten, würde das wahrscheinlich einen massiven Einbruch bei der Wählerschaft bedeuten.
e-politik.de: Hat Haider in Kärnten bisher in diesem Sinne Wort gehalten?
Burkert-Dottolo: Ein wichtiger Aspekt, den man betonen sollte ist: Das, was Haider in Kärnten doch gemacht hat, ist die politische Verantwortungsübernahme und sind klare Vorgaben an die Beamtenschaft. Das ist auch für die anderen Landesräte ein Zeichen gewesen, nicht wieder Kommissionen einzusetzen und beraten zu lassen, sondern wieder klare Vorgaben zu geben und politische Verantwortung zu übernehmen.
e-politik.de: Im Gegensatz zu allen anderen christdemokratischen/konservativen Volksparteien ist die ÖVP in der Position, zwischen FPÖ und SPÖ eingekesselt zu sein. Wo ist denn die genuine Position in diesem Spektrum, nachdem die alte Wählerbindung nichts mehr gilt?
Burkert-Dottolo: Die Einkesselung hat vielleicht bis zu den Wahlen bestanden. Seit dieser Koalition hat die ÖVP eine völlig neue Chance, die sie vorher nie gehabt hat. Es ist eine klare Positionierung möglich, die heißt Mitte/Rechts und damit ist auch ein klares Wählersegment ansprechbar, mehr auch als früher in diesem Mitte-Bereich, da die SPÖ sicherlich mehr nach links gegangen ist. Die ÖVP kann damit eine offenere, liberalere Richtung einschlagen und damit das weite Spektrum der Wähler in diesem Bereich ansprechen.
e-politik.de: Sie sagen, Politik muss künftig pragmatisch sein. Sie haben den Ausdruck der "Projektpolitik" verwendet. Ist das nicht zuwenig für den Bürger. Der möchte ja auch Orientierung haben und nicht darauf angewiesen sein, dass zum rechten Zeitpunkt das rechte Projekt angepackt wird, in einer Weise, die dem Wähler entgegenkommt. Das ist zunächst mal sehr unverbindlich.
Burkert-Dottolo: Sie haben nicht Unrecht, wenn Sie sagen, dass ist zunächst mal unverbindlich. Wir haben, glaube ich, zwei Möglichkeiten Politik zu machen. Einmal, indem ich versuche, zunächst große Ideologien aufzubauen und sozusagen aus diesen Ideologien heraus Politik mache. Zum anderen, indem ich Projekte mache, herzeige wie sie funktionieren und damit im Nachhinein doch zeige, in welche Richtung das ganze geht. Es ist ja nicht so, dass ich durch die Projekte, die ja klar definiert sind, jede Ausrichtung, jede Weltanschauung, jede Wertegemeinschaft verlasse, sondern ich lege nicht vorweg schon den ganzen Ballast von Ideologien an. Ich glaube aber schon, dass abgesehen von Ideologien auch in Zukunft das Menschenbild das Entscheidene sein wird. Ich glaube, dass die christlichen Parteien mit ihrem eher skeptischen Menschenbild gar keinen schlechten Zugang haben.
e-politik.de: Eine Prognose: Wie wird sich das Parteiensystem entwickeln?
Burkert-Dottolo: Offen! Die einzige Chance, wenn Parteien überleben wollen, ist die Möglichkeit, Menschen kurzfristig für Projektarbeit zu begeistern, Lebensabschnittspartnerschaften sozusagen. Es wird sicherlich nicht mehr möglich sein, auf Dauer große Funktionärskader aufzubauen. Kurzfristig wird man für Wahlkämpfe sicherlich immer noch Menschen begeistern können - im Sinne einer Zivilgesellschaft.
e-politik.de: Wird das innerhalb der bestehenden Parteien passieren?
Burkert-Dottolo: Es kann durchaus durch diese Neupositionierung und Repolitisierung passieren, dass sich aus diesen Demonstrationen was neues entwickeln kann. Ich wär' froh darüber. Es ist allerdings so, dass es durch die Unterwanderung dieser Demonstrationen durch die SPÖ zu einem relativ raschen Ende dieser - wie ich meine - zivilgesellschaftlichen Ansätze gekommen ist. Ob es zu einer Partei im klassischen Sinne führt, muss ich momentan eher ablehnen.