Tagebuch eines Magisterkandidaten - Folge 11
Autor : e-politik.de Gastautor E-mail: redaktion@e-politik.de Artikel vom: 16.10.2002
Die Uni ist ein Kindergarten und die Arbeit an der Magisterarbeit ist aufreibend. Joyce Mariel hat die ideale Ablenkung vom Schreiben gefunden.
Magdalena wird in zwei Monaten drei Jahre alt und ist jetzt schon ein sehr gewitztes Kind. Sie wohnt mit ihrer kleinen Schwester Anna-Lisa einen Stock über mir und ist gerade in einer Phase, in der sie wichtige Fragen an die Welt stellt.
Momentan interessiert sie sich für das Phänomen Arbeitsteilung und nutzt ihre zahlreichen Kontakte zu intensiver Recherche. So blieb ich auch nicht verschont, als sie mich eines Nachmittags besuchte.
"Recherchebesuch"
"Was arbeitest Du?" Lena schob meine Hände von der Tastatur meines Notebooks und kletterte auf meinen Schoß. "Tja, wie soll ich Dir das erklären?" Lena ließ nicht locker. "Was arbeitest Du?" "Ich arbeite noch nicht, ich gehe in die Uni." "Was ist Uni?" Wie erklärt man einer fast dreijährigen das Phänomen Universität? "Das ist so was Ähnliches wie Schule." Lena blieb hartnäckig. "Was ist Schule?" "Da kommt man hin, wenn man nicht mehr in den Kindergarten geht." Jetzt war alles klar und meine kleine Nachbarin strahlte. "Du gehst auch in den Kindergarten?" Was soll man darauf noch antworten?
Meinem Spieltrieb nach zu urteilen, befinde ich mich gerade wieder schnurstracks auf dem Weg in den Kindergarten. Nicht nur, dass meine kleinen Nachbarskinder immer fast vor Lachen zerplatzen, wenn ich für sie in die Rolle der bösen Hexe schlüpfe und die beiden mit komischen Grimassen und seltsamen Geräuschen über den Hof jage. Nein, auch mein Computer hat unter meinem Spieltrieb zu leiden. Denn ich trainiere gerade für die "Solitär" - Weltmeisterschaft. Sollte jemand dieses Spiel nicht kennen, will ich es gerne erklären.
Man erhält per Zufall einen bestimmten Kartensatz, den man absteigend nach einer bestimmten Reihenfolge sortieren muss. Wenn man nicht aufpasst, kann man zu einem manischen Kartensortierer werden.
So wie ich zu einem geworden bin. Und zugegeben, ich schäme mich im Zeitalter aufwändig animierter 3D-Rollenspiele, das zuzugeben.
"uga!"
Weniger peinlich ist es, wenn man zugibt, eine Blockade im Sprachzentrum zu haben und die darin herumschwirrenden Gedanken nicht ordentlich fassen zu können. Schließlich ist das ein uraltes Phänomen, wie man aus vielen Filmen weiß. Allerdings hat die fortgeschrittene Technik den Menschen mit Artikulierblockade das Leben um einiges bequemer gemacht. Steinzeitmenschen mussten sich entweder sehr gut überlegen, wie sie ihr "uga!" graphisch darstellen oder die Höhle nach misslungener Artikulation wechseln. Der Mensch von heute kann jeden gutturalen Laut in den Computer hacken und zur Not einfach die "Entf"-Taste drücken, wenn ihm das "uga!" des 21. Jahrhunderts nicht zusagt. Das wiederum zieht einen ungeheuren Perfektionsdrang nach sich, denn "uga!" ist nicht gleich "uga!". Und genau dieser Perfektionsdrang trieb mich, als ich die ersten Wahlen in der Tschechoslowakei nach dem Motto zwei Schritt vor und drei zurück analysierte. Dann lieber Solitär spielen, das frustriert weniger.
Solitär ist gut!
Allerdings hat mein neu entdecktes Hobby Solitär auch seine guten Seiten. Ich kann mir einreden, dass die Sortiererei mich intellektuell hinsichtlich meiner Konzentrationsfähigkeit stimuliert. Ich habe eine gute Ausrede, die Datei mit meiner Magisterarbeit nicht öffnen zu müssen; das werde ich nach einer Zigarettenlänge und einem Solitärspiel tun. Oder nach einem gewonnenen Solitärspiel. Oder nach zwei. Und meinem Computer tut meine Solitärmanie auch gut, denn sonst würde ich nur weiter auf meine halbfertige Magisterarbeit starren und der Arme würde sich nach intensiver Hypnose noch einbilden, er wäre ein Vogel oder so was. Dann würde er auf dem Kirschbaum vor meinem Fenster sitzen und mit den anderen Amseln um die Wette zwitschern. Und ich könnte meinen akademischen Titel vergessen.
Tagebuch einer Magisterkandidatin Folge 10
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