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e-politik.de - Home  Forschung & Lehre  Für Studenten   Tagebuch einer Magisterkandidatin


Tagebuch

Tagebuch einer Magisterkandidatin - Folge 5

Autor :  Redaktion e-politik.de
E-mail: redaktion@e-politik.de
Artikel vom: 03.09.2002

Wenn Geisteswissenschaftler nicht zum Arbeitsmarkt passen, muss sich der Arbeitsmarkt eben ändern. Joyce Mariel über die Sorgen vor dem bevorstehenden Studienabschluss.


Ist Leben planbar?

Neulich auf der Dachterrasse des Unigebäudes an der Schellingstraße: die Sonne scheint und zwei Lehramtsstudentinnen betreten die Szene. Beide setzen sich und knabbern genussvoll an einem Magnum-Eis, um sich vom Prüfungsvorbereitungsstress zu erholen. Sagt die Dunkelblonde: "Und nach der Zwischenprüfung werd' ich mich wohl nur noch in Phonetikseminare hocken." Darauf die andere: "Ja, und in vier Semestern mach ich mein Staatsexamen; und nach dem Referendariat krieg' ich dann mein Kind und dann arbeite ich weiter hier in München." Bei diesen Worten horchte ich auf, die ich in der Nähe saß und Zeitung las. Hilfe!
Ich weiß, dass ich 1,82 m groß bin und grüne Augen habe. Ich weiß, dass die Erde rund ist und sich um die Sonne dreht. Ich weiß, dass ich Politikwissenschaft studiere und später nicht Bundeskanzlerin werden will, wie mich manche Zeitgenossen auf Parties fragen, wenn sie versuchen, witzig zu sein. Aber was ich in fünf Jahren machen werde, weiß ich definitiv noch nicht!

Berufswünsche

Als ich im Kindergarten war, wollte ich Ärztin oder Physikerin werden, denn ich ahnte noch nichts von meinen katastrophalen Leistungen in naturwissenschaftlichen Schulfächern, die mich regelmäßig um meine Versetzung bangen ließen.
In der Grundschule wollte ich Archäologin werden und fand tatsächlich die Überreste eines alten Friedhofs auf dem Nachbargrundstück meiner Eltern. Zeitweilig war Musikerin mein Berufswunsch, was an meinem mangelnden Ehrgeiz scheiterte.
Während meiner Pubertät wollte ich cool werden und mit dem Abitur in der Tasche sah ich mich in fünf Jahren als rasende Reporterin. Und seitdem mir die Stelle als freie Mitarbeiterin bei einer Musikzeitschrift gekündigt wurde, gingen mir meine konkreten Berufswünsche flöten.

Manche hatten wenigstens noch die Eltern bei der Wahl ihres Studiengangs im Nacken. Meine hatten Gott sei Dank schon lange resigniert aufgegeben. Als ich meinem Vater eröffnete, dass ich Amerikanische Kulturgeschichte im Nebenfach studieren werde, sagte er nur: "Mei, wos´ned ois gibt!". Immer noch besser als besagter Party-Scherzbold, der immer lachend antwortet: "Ach, die haben Kultur?" Ja natürlich: im Grundstudium lernen wir die Standorte der McDonald´s-Filialen auswendig, im Hauptstudium sind dann die von Burger King dran. Nur, welchen Beruf soll man mit einem Studium in Politikwissenschaft, Amerikanische Kulturgeschichte und Verfassungsrecht ergreifen?
Ich habe keine Ahnung, sollte aber langsam eine bekommen. Denn Mitte Februar 2003 stehe ich für den Arbeitsmarkt zur uneingeschränkten Verfügung.

Hier kommen die Orchideenfächer!

Aber ich habe mal wieder so eine Idee: An alle Witzbolde da draußen! An alle, die ihren Eltern zuliebe was "Anständiges" machen! An alle Personalchefs und alle, die in Career-Recruiting-Young-Talents-Convention-Assessment-Centern abhängen! Haltet euch fest, denn jetzt kommen wir von den Orchideenfächern! Wenn der Arbeitsmarkt sich nicht den Universitätsabsolventen anpasst muss er eben angepasst werden. Basta. Wir werden den deutschen Arbeitsmarkt vom Kopf wieder auf die Füße stellen. Herr Hartz setzt schließlich auch auf Dienstleistung.
Der erste Schritt wird der schwerste: Wir brauchen eine Lobbygruppe, die so viel Einfluss auf die Politik nimmt, dass die wichtigsten gesetzlichen Regelungen für diesen Plan auch effektiv durchgesetzt werden können. Das schafft die ersten Arbeitsplätze. Und wenn dann per Gesetz jeder Bürger dazu verpflichtet ist, sich von den Orchideenfächer-Ich-AGs mindestens einmal im Monat beraten zu lassen, kann´s losgehen.
Kein Interesse an Ihrem Familienstammbaum im Mittelalter? Schade, aber leider müssen Sie ihn sich von mir anfertigen lassen. Ihnen ist es schnuppe, dass man Ihre Lieblingsurlaubsinsel Mallorca nicht mit Doppel-L ausspricht? Nichts da, Sie schließen mit mir jetzt sofort einen Vertrag, der mich dazu verpflichtet, Ihnen meine Kenntnisse in spanischer Phonetik näher zu bringen!
Die Zahl der Arbeitslosen wird schmelzen wie der EU-Butterberg in der Sonne, denn diese Beratungsoffensive schafft freie Stellen en masse. Und was das schönste ist: Kein Wahlkampf wird mehr mit Vorwürfen geführt werden können, die eigene Partei wisse viel besser, wie Reformen in der Beschäftigungspolitik fortschrittlich durchgeführt werden können.

Bild: Copyright liegt bei www.warnerbros.com


   

Weiterführende Links:
   Tagebuch einer Magisterkandidatin - Folge 4



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