Es gibt wohl keine Institution, die dem US-Präsidentschaftswahlkampf inzwischen so
ähnlich geworden ist wie die Traumfabrik Hollywood. Der Präsident selbst ist
inzwischen Hauptdarsteller zahlreicher Filme, ob als Held oder Schurke. Der
Wahlkampf selbst wird jedoch nicht so häufig zum Thema erfolgreicher Produktionen
gemacht. Sei es, dass die Komplexität der Materie zu schwierig für das gemeine
Kinopublikum zu sein scheint, sei es, dass man mit Politik ohne Krimi- oder
Thrillerhandlung keine Kasse machen kann.
Der Präsident und seine Verfehlungen
Doch es gibt Ausnahmen. Drei der hervorstechendsten filmischen „Dokumente" sind
einer näheren Betrachtung wert: „Wag the Dog" (USA 1997), „Mit aller Macht" (USA
1998) und „Bulworth" (1998).
Für einen richtigen Hollywood-Film braucht man aber zuerst mal einen
charismatischen Helden. Der „mächtigste Mann der Welt", der Präsident der
Vereinigten Staaten, scheint dafür gut geeignet. Ist er doch gerade aufgrund seiner
Position gern genutztes Ziel des Spottes. Auch die Ereignisse um Bill Clinton waren
sicherlich eine der Hauptprämissen bei der Konzeption von „Wag the Dog", einer
brillanten Satire auf die Manipulierbarkeit der Medien und das Öffentlichkeitsbild der
USA. Nachdem der US-Präsident eine äußerst intime „Begegnung" mit einem
Schulmädchen im Oval Office hatte, soll ein Krisenteam unter Leitung des
erfahrenen Beraters Conrad Brean (Robert De Niro) das Schlimmste verhindern,
denn die Nation steht 11 Tage vor der Wahl. Und was ist das beste Mittel, um von
einer Krise abzulenken? Man schafft eine noch größere Krise. Der Hollywood-Produzent Stanley Motts (Dustin Hoffman) wird engagiert, um einen Krieg zu
„erfinden". Einen Krieg mit - Albanien. Warum Albanien? Keine Ahnung, „aber kein
Mensch weiß etwas über Albanien, außer dass Albanier unheimlich und irgendwie
fremd sind", wie Conrad Breen treffend feststellt. Grund genug, um eine gigantische
Verschleierungsmaschinerie in Gang zu setzen, die keine Tränendrüse ungedrückt
und keinen Merchandising-Trick ungenutzt lässt. So wird der Fehltritt des
Präsidenten wohlkalkuliert unter den Teppich gekehrt und das Volk hat andere
Sorgen. „Wie - es gibt keinen Krieg? Ich hab´s doch im Fernsehen gesehen!".
Dieses Zitat bringt „Wag the Dog" auf den Punkt: Weltpolitik wird medial gemacht,
egal ob sie wahr ist oder nicht. Als Bill Clinton übrigens auf einen Besuch beim Dreh
in Washingtons Straßen vorbeischaute und wissen wollte, was hier denn überhaupt
für ein Film entstehe, erfand Dustin Hoffman ganz wie sein Charakter im Film aus
dem Stegreif eine phantasievolle Geschichte über eine Thrillerhandlung, damit der
wahre Plot des Films nicht die falschen Ohren geriete.
Der Clintonismus auf dem Höhepunkt
Zweites Beispiel für die Verarbeitung der Wahlpolitik im Kino ist der Weltbestseller
„Primary Colors", auf deutsch „Mit aller Macht". Der Newsweek-Kolumnist Joe Klein
sorgte für einen veritablen Skandal, als er seinen Roman über einen Senator der
USA und seinen unaufhaltsamen Aufstieg als „Anonymus" veröffentlichte. Denn sein
Jack Stanton trägt unübersehbare Züge von Bill Clinton vor seinem Einzug ins
Weiße Haus. Dies wird im Film noch deutlicher, wenn John Travolta graumeliert eine
etwas übergewichtige Version des (Noch-) Präsidenten auf die Leinwand bringt. An
seiner Seite: Hillary-Kopie Emma Thompson. „Mit aller Macht" verfolgt den Senats-Wahlkampf des Kandidaten in der heißen Phase der Vorwahlen, der sogenannten
„primaries", und deckt dabei auf, mit welchen Bandagen in den USA um die Macht
gekämpft wird. Es scheint wirklich jedes Mittel recht zu sein, um auf den Senatoren-Sessel zu kommen. Auch vor Verleumdung und Grausamkeit, die eine Mitarbeiterin
des Senators (Kathy Bates) in den Selbstmord treibt, wird nicht zurückgeschreckt.
Damit der aufstrebende Politiker dann schließlich im Ballsaal des „Zentrums der
Macht" tanzen kann, müssen eben Opfer gebracht werden. Hier wird nicht nur ein
auch für Europäer nachvollziehbarer Blick hinter die Kulissen des Wahlkampfes
geworfen, eine beißende Satire auf Hochmut und Selbstliebe der Politiker ist „Mit
aller Macht" außerdem.
Wenn ein Politiker die Wahrheit rappt...
Das wohl seltsamste Exemplar der Filme, mit denen wir uns hier beschäftigen, ist
Warren Beattys 4. Regiearbeit „Bulworth", der in Deutschland völlig unterging, weil
er im Original mit Untertiteln veröffentlicht wurde, was jedoch unbedingt notwendig
war. Der fiktive Senator Jay Billington Bulworth (Beatty) tritt in der „presidential
campaign" 1996 an, um in den Senat wiedergewählt zu werden. Sein unermüdlicher
Einsatz zeigt tiefe Spuren: Nach 5 Tagen Schlaf- und Nahrungsentzug befindet sich
Bulwort in einer tiefen Krise - er heuert einen Killer an, um sich selbst ermorden zu
lassen. Kurz darauf geschieht jedoch etwas sonderbares: Durch seinen
außergewöhnlichen Geisteszustand am Rande des Zusammenbruchs beginnt der
Politiker plötzlich, die Wahrheit zu sagen! Er legt vor einer ganzen Kirche voller
schwarzer Wähler offen, dass sie sowohl von Demokraten als auch Republikanern
nur betrogen werden. Er beleidigt jüdische Wahlspender und stößt die Lobbyisten
reihenweise vor den Kopf. Doch damit nicht genug: Bulworth beginnt plötzlich zu
rappen (daher die Untertitel) und seine Wahrheiten in Reimen unters Volk zu
bringen. Sein Wahlkampfmanager (Oliver Platt) steht vor dem Kollaps. Zu allem
Überfluss verliebt sich der Senator auch noch in die hübsche Farbige Nina (Halle
Berry) und bringt alle Konventionen zum Einsturz. Doch die neue Politik der „offenen
Worte" zeigt Wirkung. Plötzlich wird der Mann, den alle für übergeschnappt hielten,
sogar als offene Konkurrenz für die Präsidentenwahl gesehen. Da bleibt nur ein
Haken: Der Killer ist immer noch hinter Bulworth her und der hat auf einmal wieder
unheimlich Lust zu leben...
„Bulworth" ist wohl der am schwersten zugängliche Film über das US-Wahlkampfsystem, aber auch der ehrlichste. Der Politiker, der die Wahrheit rappt -
das ist nicht nur zu Wahlzeiten ein Skandal. „Bulworth" war zwar bei den Oscars
1998 für das beste Drehbuch nominiert, doch es stand außer Frage, dass diese
Abrechnung mit der amerikanischen Scheinheiligkeit nie zu Auszeichnungsehren
gelangen würde. Ein wichtiges Kapitel der US-Befindlichkeit, aber auch ein
geflissentlich ignoriertes ist dieser Film.
Wo bleibt Hollywood, wenn Washington die besten Shows liefert?
So bleibt nur zu konstatieren: Egal wie sehr sich Hollywood auch bemüht: Die größte Show findet immer noch auf den realen politischen Podien der USA statt. Die Schlacht zwischen George W. Bush und Al Gore beweist es wieder aufs neue.