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( Artikel-Nr: 822 )Der Nahostkonflikt: Göttliches Recht auf Land - und Blut Autor : Andreas Bock Der Krieg zwischen Israel und Palästina wird tagtäglich blutiger. Beide Seiten glauben sich im Recht - im
"göttlichen" Recht. Andreas Bock betrachtet das
eigentliche Problem beider Völker. Zwischen Israel und Palästina bleibt alles beim Alten - Steine fliegen hin
und Gummigeschosse zurück; manchmal sind es auch Brandsätze, Gewehrsalven
oder Raketen. Täglich gibt es Meldungen von neuen Opfern und auch neuen
Vermittlungsversuchen. Im Nahen Osten dreht sich ein endloser Reigen von
Gewalt und Gesprächen. Wollte man zynisch sein: man müsste der Wiederkehr
von Tod auf Gespräch, von Gespräch auf Blut, Enttäuschung und Hass längst
ein Eigenleben unterstellen. Denn an der Situation verändert sich nichts.
Kann man zwischen Israel und Palästina vermitteln? Als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor wenigen Wochen in die
Konfliktregion "Naher Osten" reiste, wurden Befürchtungen aus
israelischen Kreisen laut, es könnte mit der selben Begründung zu einer Intervention zugunsten Palästinas kommen, mit der die NATO im März 1999 ihren Krieg gegen Serbien legitimierte. So irrational und unbegründet
diese Ängste sind, der Vergleich mit dem Kosovo macht unbeabsichtigt auf das
eigentliche und tiefliegende Problem im Nahostkonflikt aufmerksam: Hier wie
dort wird der Anspruch auf ein bestimmtes Territorium nicht allein mit
juristischen Normen begründet, sondern darüber hinaus durch überpositve
Geltungsansprüche legitimiert. Im Kosovo ist es das Amselfeld ("Kosovo
polje"), im Nahen Osten sind es die heiligen Städte zweier
Weltreligionen - fatalerweise die Religionen zweier verfeindeter Völker.
Kein Krieg um Land Der Tempelberg, die Al Aksa Mosche, die Klagemauer, das Josephsgrab...
Beliebige Beispiele, die eine Gemeinsamkeit haben: Sie symbolisieren die
Eigenart des Nahostkonflikts als eines mythisch begründeten Krieges - aber
nicht eigentlich eines Religionskrieges.
Zwar wird der Konflikt von zwei verfeindeten Völkern um territoriale Fragen
geführt, vom dem jedes für sich eine Religion mit absolutem Geltungsanspruch
vertritt. Aber weder ist der Gewinn des Territoriums der eigentliche Zweck,
noch geht es den beiden Seiten darum, der eigenen Religion zum Sieg und
damit zur "Herrschaft" des einzig "wahren Glaubens" zu
verhelfen. Wieso? Wird nicht genau darum gestritten, um das Territorium
Israel/Palästina, die Autonomiegebiete und Siedlungen, und sollte nicht
genau diese Frage das Friedensabkommen von Oslo im September 1993 regeln?
Zwei "wahre" Religionen - zwei "wahre" Ansprüche?! Und das bringt uns zurück zu den Parallelen zwischen dem Kosovo-Krieg
(der Vertreibung der Kosovaren) und dem Nahostkonflikt (dem Kampf zwischen
Israelis und Palästinensern), die beide eben nicht rational sind: Die Serben haben bis heute für ihre
Vertreibungen eine "mythische" Begründung, ebenso wie sie auch
Israelis und Palästinenser haben. Dort ist es das Amselfeld, das die Serben
als Wiege des "Serbentums" verehren, hier sind es die heiligen
Stätte, die die ganz besondere ("göttliche") Qualität von
Israel/Palästina symbolisieren. Ein Mythos ist ein Ereignis (keine
Tatsache!), dem über die Zeit eine besondere Geltung zukommt und die nicht
hinterfragbar ist - sei es kraft Tradition oder Religion.
Wieviele Menschenleben ist göttliches Land wert?
Der Kosovo-Krieg wie auch der Nahostkonflikt sind irrational - was nichts
anders besagt, als dass sie sich nicht mit meßbaren Kosten-Nutzen-Relationen
beschreiben lassen: Wie hoch ist der Wert eines Stücks Erde einzuschätzen,
von dem man glaubt es sei der Ursprung des eigenen Volkes? Und wie hoch ist
dann erst der Wert eines Landes, das als göttliche Gabe angesehen wird, und
das für die innige Verbindung zwischen Gott und den Menschen steht?
Zumindest für Gläubige ist dieser Wert unermesslich - und darum wohl auch
mehr wert als Menschenleben. Wie groß muß der Schmerz werden, damit es zu
einem Ende der Gewalt und irgendwann auch Frieden kommt? Diese Frage ist so
wenig zu beantworten wie die nach dem Wert heiliger Stätte oder heiligen
Landes. Zu beantworten ist nur, warum Soldaten auf Kinder schießen und
Eltern ihre Kinder in einen Kampf gegen Soldaten lassen: weil beide Seiten
sich im Recht, im "göttlichen Recht" glauben.
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Warum schicken palästinensische Eltern ihre Kinder tagtäglich in den
Krieg der Steine, in dem sie auf schwer bewaffnete israelische Soldaten
treffen, oder versuchen zumindest nicht sie zurückzuhalten? Und warum
schießen diese Soldaten zurück, schießen scharf auf Gegner, die doch noch
Kinder sind? Geht es hier tatsächlich um territoriale Fragen - um staatliche
Souveränität, um einen eigenen palästinensischen Staat neben dem bestehenden
Staat Israel, samt gemeinsamer oder geteilter Hauptstadt Jerusalem / Al
Quds?
Kann man zwischen Israel und Palästina überhaupt vermitteln? Diese Frage
berührt die Grundfesten des Friedensprozesses, von ihrer Antwort hängt die
Zukunft der Region ab.
Als Iraks Diktator Saddam Hussein Kuwait besetzte ging es einzig und
allein um das Territorium, genauer: die Ölquellen Kuwaits. Saddams Überfall
auf Kuwait war in erster Linie von rational-ökonomischen Überlegungen
motiviert, von der Erwartung wirtschaftlicher Macht und Unabhängigkeit.
"Rational" besagt als sozialwissenschaftlicher Terminus dabei
lediglich, dass eine Entscheidung auf Grund einer Kosten-Nutzen-Kalkulation
erfolgt ist - ohne einer Wertung als eigentlich "vernünftig". Im
Falle Kuwaits hieß das: Der mögliche Gewinn des Öls rechtfertigte das Risiko
eines Krieges. Die Grenzen der Rationalität waren mit Beginn der
amerikanisch-britischen Angriffe erreicht, denen zudem die Isolierung
Saddams in der Region vorausgegangen war. Der wirtschaftliche, militärische
und politische Schaden für das Regime eskalierte derart, dass die Ausbeutung
der Ölquellen dazu in keiner Relation mehr stand. Für Saddam war es darum
nur rational (und auch vernünftig), Kuwait möglichst schnell wieder zu
verlassen, um den Schaden nicht noch weiter zu steigern.
Nicht nur orthodoxe Juden erinnern immer wieder an den Bund Gottes mit
dem Volk Israel, durch den Gott "seinem auserwählten Volk" dieses
Land zugesprochen hat. Und welche Geltung können menschliche Regelungen
gegenüber göttlichem Recht haben? Keine! Kaum ein gläubiger Muslime, der
diese Aussage nicht auch unterschreiben würde. Nur dass auch sie durch ihren
Propheten Mohammed selbst einen Bund mit Allah, dem einzigen und wahren
Gott, geschlossen haben. Die heiligen Stätte stehen für diese "special
relationship" mit Gott. Damit stehen sich aber zwei Religionen
gegenüber, die nicht nur den Anspruch auf das (teilweise) gleiche
Territorium begründen, sondern auch für sich beanspruchen, die einzig wahre
Religion zu sein, und damit auch den einzig wahren Anspruch zu haben.
Das ist es auch, worum es tagtäglich geht: nicht um das Land, sondern um
das göttliche Recht darauf. Wie aber soll man zwischen zwei Seiten
vermitteln, die für sich "göttliches Recht" in Anspruch nehmen?
"Das Josephsgrab ist genauso das Grab Josephs, wie das sagenhafte
Pferd Mohammeds, der ausgerechnet nach Jerusalem kam, um darauf gen Himmel
zu reiten, je existiert hat. Aber für wahre Gläubige machen Fakten keinen
großen Unterschied", schrieb Yoram Kaniuk, israelischer Schriftsteller,
in der Zeit (Nr. 43 vom 19. Oktober). Besser lässt sich das Dilemma
eines Konflikts kaum beschreiben, der sich aus religiösen Mythen nährt: Was
kehren sich Gläubige um Fakten, selbst wenn es Verletzte und mehr und mehr
Tote sind?
Nichts!