e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 1865 )


Krieg gegen den Terror

Newsweek-Cover

Kriegsverbrechen in Afghanistan

Autor :  Alexander Wriedt
E-mail: redaktion@e-politik.de

Im November 2001 pferchten Soldaten der Nordallianz besiegte Taliban-Kämpfer in versiegelte Container und ließen sie ersticken. Fast 1000 Soldaten wurden so ermordet. Alexander Wriedt berichtet.


Am 16. Januar diesen Jahres trafen die beiden Rechercheure Jennifer Leaning und John Heffernan von der Menschenrechtsorganisation Physicians for Human Rights (PHR) in Masar-i-Sharif in Afghanistan ein, um das Gefängnis der Nordallianz in Sheberghan zu begutachten. Die Bedingungen, unter denen die Gefangenen lebten, schockierten die beiden Menschenrechtler. Etwa 3000 Gefangene lebten zusammengepfercht in einem Raum, der für 800 Menschen gebaut worden war. Krank und halb verhungert hockten sie hinter den hohen Mauern des Kerkers. Hellhörig machte die Rechercheure, was die Insassen ihnen erzählten: Hunderte von ihnen seien auf dem Weg in dieses Gefängnis in geschlossene Container gestecktworden, wo sie dann erstickten. Zu wenig Sauerstoff, ohne Wasser unter der sengenden Sonne, seien sie stundenlang zum Gefängnis gefahren - ein Höllen-Trip. Die Soldaten des Generals Abdul Rashid Dostum, einer der brutalsten und rücksichtslosesten Kriegsfürsten Afghanistans, sollen die Leichen im benachbarten Ort Dasht-e Leili verscharrt haben. Etwa eine Viertelstunde fuhren die beiden Menschenrechtler durch die Wüste, um in einen Ort zu gelangen, wo eines der vielen schmutzigen Geheimnisse dieses Krieges begraben liegt.

Massengräber in der Wüste

Die Suche nach Massengräbern ist den beiden Rechercheuren nicht neu. Bereits dreimal vor dem 11. September 2001 waren sie in der nahegelegenen Stadt Masar-i-Sharif, um ähnlichen Gerüchten nachzugehen. Dieses Mal wurden sie schnell fündig: Einheimische führten sie zu einer Stelle in der Wüste, die überzogen war mit Reifenspuren von Bulldozern. Ein paar Schuhe und wollene Kopfbedeckungen ragten aus dem umgepflügten Sand heraus. Als sie das Feld untersuchten, fanden sie menschliche Knochen, die Tiere herausgewühlt hatten. Einige waren alt und gebleicht, andere so frisch, dass noch Gewebereste an ihnen hingen. In ihrem Bericht "Preliminary Assessment of Alleged Mass Gravesites in the Area of Mazar-i-Sharif" listeten sie penibel ihre Funde auf. Anhand von Fotos und detaillierten Beschreibungen dokumentierten sie die dunkle Seite des "Krieges gegen den Terror".

Bestätigung durch Newsweek-Recherchen

Nach der grausigen Entdeckung war es Zeit, einen alten Veteranen ihrer Organisation zur Hilfe zu holen, der auf dem Balkan bereits zahlreiche Massengräber ausgehoben hatte: Bill Haglund. Der Spezialist für Kriegsverbrechen will erst einmal zu Ende untersuchen, bis er sich zur Zahl der Opfer äußert. Doch die erste gerichtsmedizinische Untersuchung von drei Leichen, die er in seinem mobilen Labor durchführt, das in einem Zelt direkt neben dem Massengrab steht, stützt die grausigen Gerüchte. Die Toten waren spärlich bekleidet, was vermuten lässt, dass sie sich vor ihrem Tod an einem äußerst heißen Ort aufhielten. Alle Opfer waren junge Männer, teilweise mit gefesselten Händen und ohne äußeren Verletzungen, etwa durch Schusswaffen oder Schlagwerkzeuge. Gleichzeitig flogen Journalisten des amerikanischen Nachrichtenmagazins Newsweek ein und ermittelten in einer aufwändigen Recherche zahlreiche Zeugen. In ihrem Bericht erwähnen sie Fahrer, die die Container mit ihrer menschlichen Fracht von Kaduz zum Gefängnis brachten.
Einer von ihnen berichtet: Nach einigen Stunden in der glühenden Sonne hätten die Eingeschlossenen gegen die Wände geklopft und nach Wasser geschrieen, erzählt der Fahrer den Newsweek-Reportern. "Wir sind Menschen, keine Tiere!", rief einer der Gefangenen aus dem Innern der Stahlbox. Der Fahrer versuchte, Löcher in die Wände zu schlagen, bis die Soldaten des Usbeken-Generals Dostum ihn daran hinderten. Als die Kämpfer wieder weg waren, legte einer der Gefangenen sein Gesicht an eines der Löcher und fragte den Fahrer: "Bist Du ein Moslem?". "Ja", antwortete er. "Sieh meine Zunge an", sagte der Eingeschlossene und streckte sie heraus. Sie hatte Risse von der Trockenheit.
Andere Fahrer erlebten ähnliche Szenen und erzählten, wie die toten Körper aus den Containern fielen, als die Türen geöffnet wurden. In mindestens drei Konvois fuhren Trucks Ende November und Anfang Dezember 2001 ins Gefängnis nach Sheberghan. Dostum ließ mehrmals das Gebiet um das Gefängnis abriegeln und verbot selbst Einheimischen den Durchgang. Anwohner konnten trotzdem die Kolonne der Lastwagen und das hektische Agieren der Bulldozer beobachten. "Wir wissen nicht, wie viel von uns gestorben sind", sagte ein Gefangener dem Sender CNN. "Wir wissen nur: Vor der Gefangennahme waren wir 12 000, jetzt sind wir nur noch 3500 bis 4000."

Wussten die Amerikaner davon?

Die US-amerikanischen Streitkräfte wollen von dem Massensterben nichts bemerkt haben. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld weigert sich, zu dem Bericht der Menschenrechtler Stellung zu nehmen. Die Newsweek-Reporter fanden allerdings heraus, dass US-amerikanische Spezialeinheiten in der Nähe waren und eng mit den Soldaten des Usbeken-Generals zusammenarbeiteten. So hat die Einheit "595-A", Teil der Fünften Spezial-Streitkräfte, die Aufgabe gehabt, mit den Soldaten des Usbeken-Generals die Luftangriffe abzustimmen. Die 595er war dem örtlichen Kommandeur Dostums zugeordnet. Gleichzeitig kontrollierte eine vierköpfiges Geheimdienst-Team, bekleidet mit einer martialischen Kampfmontur die Eingänge des Gefängnisses, um Al-Kaida-Kämpfer herauszupicken. Wann immer sie ihren Dienst dort begannen - Ende November waren sie auf jeden Fall am Gefängnis. Die Menschenrechtler können nicht glauben, dass die amerikanischen Soldaten nichts bemerkt haben, als die Container mit den erstickten Taliban in mehreren Konvois anrollten. General Dostum versichert zwar immer wieder, die Gefangenen seien nicht absichtlich ermordet worden, sondern aus Versehen erstickt. Denn man habe zu wenig Transportmöglichkeiten gehabt. Die Amerikaner seien im übrigen nicht dabei gewesen, als die Gefangenen verladen wurden.

UN untersucht amerikanische Beteiligung

Jetzt meldet sich der irische Dokumentarfilmer Jamie Doran zu Wort, der jahrelang für die BBC gearbeitet hat. Er behauptet, vor laufender Kamera Zeugenaussagen gesammelt zu haben, die eine Beteiligung der US-Streitkräfte belegen. Die UNO setzt nun zusätzliche Ermittler ein, um Licht in das Dunkel zu bringen. Die Kooperationsbereitschaft der Beteiligten hält sich bisher in Grenzen.




Weiterführende Links:
   Seite der Physicians for Human Rights: http://www.phrusa.org/


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