e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 905 )


Programm-Kritik

Andreas Giebel

Andreas Giebel: Vom Heben gezeichnet - ein Sherpa packt aus

Autor :  Claus von Wagner
E-mail: redaktion@e-politik.de

Andreas Giebel - der romantische Metzger unter den deutschen Kabarettisten ist wieder da: Mit seinem aktuellen Programm "Vom Heben gezeichnet - Ein Sherpa packt aus" gastierte er im Münchner Lustspielhaus. Claus von Wagner war unter den Gästen.


Das ist jetzt schon die siebte kleine Flasche Whiskey. Ja, hört der denn mit dem Saufen gar nicht mehr auf?
Andreas Giebel - Träger des Deutschen Kleinkunstpreises 1996/97 - denkt gar nicht dran. Schluck für Schluck nimmt das Unheil seinen Lauf. Dabei hatte er sich doch soviel vorgenommen: Mit dem Rauchen aufzuhören, mit den Frauen und dem ungesunden Leben. Er wollte endlich auch "ja" sagen zum Leben: Einfach mal zum Spaß fröhlich sein, genießen ohne Genuss, wandern ohne zu gehen. Und vor allem wollte er diese sinnlose Sauferei mit seinen "sogenannten" Freunden beenden. Der Wille war da - allein der Alkohohl war stark. Und so versinkt auch die letzte der von Giebel präsentierten Figuren in den Tiefen ihrer Selbst: Gelähmt, unfähig sich aufzurichten und zu befreien - vom Heben gezeichnet. Eine passende Beschreibung vielleicht auch für jene Typen, mit denen sich der Kabarettist einst um den Stammtisch versammelt habe, wie er erzählt. Im Rückblick spielt Giebel alle seine ehemaligen Spez'l gleich selbst.

Nicht schwul - Nur christlich veranlagt

Ein tragik-komisches Kammerspiel. Da ist zum einen Luci, die Wirtin. Alleinstehend, kinderlos. Bestätigung holt sie sich vom kettenrauchenden Bronske. Der steht immer am Bistrotisch, schweigt oder rasselt ab und zu mit den Lungen: "Du bist a Wahnsinnsfrau". Am Tisch selbst sitzen Josey, Walter und Simmermann. Josey hat sich nach Verlust der eigenen Persönlichkeit, die von Robert de Niro zugelegt: Wenn er, wie sein großes Vorbild, die Luft einsaugt, jenen argwöhnischen Blick aufsetzt, und mit Synchronstimme flüstert: "Ja weißt Du...", dann wird es still am Tisch.
Das passiert nicht oft, denn wenn man hier nichts zu reden hat, dann redet man eben übers Schweigen. Walter vor allem, denn Stille hält sein schlichtes Gemüt nicht lange aus. Der schwule Frisör kratzt sich verlegen hinterm rechten Ohr und schmollt: "I bin net schwul - I bin höchstens christlich veranlagt."
Simmermann keift und schimpft, während Fred, der Quotenpreuße vergeblich versucht in der oberbayerischen Runde Aufnahme zu finden.
Über dem Stammtisch liegt ein Nebel aus Verzweiflung und Melancholie. Man fragt sich, wie's weiter gehen soll. Handeln tut niemand. Leben ist Reden. Das Gespräch als Existenzgrundlage. Hier am Tisch fühlt man sich geborgen und beschützt vor der Welt da draußen, die nur am Schluss kurz in Gestalt von Simmermanns Bruder Max vorbeischaut. Der redet und redet, macht aus Luft einen Schwall und geht wieder. Lässt die Stammtischbrüder allein zurück. In diesem Moment entfährt Simmermann die vielleicht zentrale Erkenntnis des Stücks: "Vielleicht sind wir zu unentschlossen." Doch die nötigen Schlüsse daraus zieht man nicht. Man tut das, was man gewohnt ist: Gründet einen Unentschlossenenverein, bleibt sitzen und suhlt sich weiter in antriebslosem Treiben.

Ein Kabarettist packt aus

Giebel unterbricht diese "Idylle" bisweilen. Dann packt er aus. Erzählt er über sich, vom Alltag eines Kabarettisten. Was er so anziehe, was er mache den ganzen Tag und, dass er seiner Frau von einer Reise schon mal einen Frantz- Branntwein mitbringe. Das Schlimmste aber sei das Kofferschleppen. Bepackt wie ein Sherpa, werde selbst die Bahnhofstreppe zur Himalaja-Besteigung. Doch das ist nur eine Deutungsmöglichkeit des Programmtitels. Denn: Vielleicht meint Giebel damit einfach uns: Tag für Tag laden wir uns neue Sachen auf, bis wir unter der Last zusammenbrechen - vom Heben gezeichnet?

Andreas Giebel. Den muss man einmal auf der Bühne gesehen haben: Ein sanftmütiger Riese, unter dessen Oberfläche es brodelt. Immer wieder kommt es zu Eruptionen, mit kraftvollen, energischen Gesten trägt er die Wut in den Zuschauerraum. Dann sinken seine mächtigen Arme erschöpft herab und urplötzlich umspielt ein verzweifeltes Lächeln seine Lippen. Giebels Kleidung ist unauffällig. Seine schwarze Hose sitzt recht eng um den selbstbewussten Bauch, ein schwarzes Hemd bringt keinen Kontrast zu den Beinkleidern. Er verschwindet bescheiden hinter seinen Figuren. Würde er sich nicht ab und zu vom Stammtisch erheben und den Kabarettisten zum Vorschein kommen lassen, man würde ihn glatt vergessen.

Fazit

Das vorausgegangene Programm "Alpenvirus" war ein brillant beobachtetes Kabinettstückchen.
Mit dem neuen Programm ist sich Giebel treu geblieben. Mit unnachahmlicher Leichtigkeit und Wärme stellt er die verdrehtesten Figuren auf die Bühne. Er kritisiert sie nicht. Er stellt sie dar: Liebenswert, in all ihrer Unbeholfenheit und Begrenztheit, mit Mutterwitz und Galgenhumor. Nie eindimensional, immer nahe am Leben.
Allein die Erzählungen des Kabarettisten wirken zwischen den Stammtischszenen etwas weniger packend. Aber das ist verzeihlich, denn Andreas Giebel ist so schön altmodisch romantisch, kurz: einer, bei dem man sich wohlfühlt. Keine aufgesetzte Lustigkeit stört die gemeinsame Lust am Schweben zischen Grant und Melancholie: Tragik wird leicht, schwer wird zart und Lachen kommt dem Weinen zuvor. Idyllisch-heitere Momente wechseln ab mit elegisch-düsteren Stimmungen und Reflexionen.
Ist das noch Kabarett? Politisches Kabarett am Ende? Giebels Antwort bleibt zweideutig: "Was hat uns denn beeinflusst? Die politischen Zusammenhänge der letzten 150 Jahre, unsere früheste Kindheit oder der Volldepp von nebenan?" Als Zugabe rezitiert Giebel dann noch ein Gedicht: "Alles nur gespielt", heißt es darin lakonisch. - Ja, auch das mit dem Saufen: Der Whiskey war nämlich nur Pfefferminztee.




Andreas Giebel: "Vom Heben gezeichnet - ein Sherpa packt aus"
Regie: Gabi Rothmüller

Tourdaten:

Januar 2001
30.01.-3.02. München: Theater im Fraunhofer

Februar 2001
06.-10.02. München: Theater im Fraunhofer
14.-15.02. Frankfurt: Die Käs
16.-17.02. Obernburg: Kochsmühle
18.02. Büttelborn: Café Extra

März 2001
01.03. Gaggenau: klag-Bühne
02.03. Baden-Baden: SWR Studio-Brettl
03.03. Freiberg/Neckar: Schloßkeller
07.03. Augsburg: Kreßlesmühle
09.03. Radolfzell: Milchwerk
10.03. Tuttlingen: Angerhalle
12.03. Beilngries: Gästehaus
15.-16.03. Passau: Scharfrichterhaus
21.-24.03. Hannover: Theater am Küchengarten
28.03.01 Schwäbisch Gmünd: Café Spielplatz
29. - 30.03.01 Brixen: Dekadenz-Theater
31.03.01 Unterpindhart: Kleinkunstbühne

April 2001
05.04. Berchtesgaden: Kurhaus
06.-07.04. Windischeschenbach: Futura
10.04. Ingolstadt: Kleinkunstbühne Neue Welt
18.-22.04. München: Drehleier
25.-29.04. München: Drehleier

Mai 2001
03.05. Langenhagen: Downstairs
04.05. Neustadt / Hannover: Mensa der KGS
05.05. Bebra: Altes Rathaus
11.05. Bad Dürkheim: Dürkheimer Haus
12.05. Neustadt/Weinstr.: Reblaus
26.05. Aschaffenburg: Bühne im Hofgarten

Stand: November 2000 Terminänderungen vorbehalten

Foto: Copyright liegt bei http://olivia-reinecke.de/




Weiterführende Links:
   Deutscher Kleinkunstpreis 1996/1997: http://www.unterhaus-online.de/linked_rz/content/kkp_akt1997.htm
   Infos zu Andreas Giebels 'Alpenvirus': http://www.prz.tu-berlin.de/docs/mehringhof/programm/giebel/


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