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e-politik.de - Artikel
( Artikel-Nr: 475 )Es fährt ein Zug nach Irgendwo - Ein Rückblick auf die Regierungskrise in Italien Autor : Enrico Palumbo Seit Ende vergangenen Jahres hat Italien eine neue Regierung - wieder einmal. Die Ursachen für die ständigen Regierungskrisen liegen im politischen System des Landes. Das Wahlrecht muss dringend reformiert werden. Ob dies der neuen Regierung gelingen wird Ein Zugabteil. Alle Plätze sind belegt. Da kommt ein Mann aus dem
Großraumwagen ins Abteil und sagt mit lauter Stimme: Ich will
auch hier sitzen. Darauf beginnen die Herren im Abteil zu streiten
und fordern sich gegenseitig auf zu gehen. Als der Zugchef kommt, richtet
sich der Zorn gegen ihn. Nun wird er beschimpft, schließlich
muss er den Zug verlassen.
Massimo D'Alema leitet seit dem 23. Dezember 1999 einen neuen Zug; doch
wohin die Reise der 57. Nachkriegsregierung in Italien führt ist ungewiss.
Die neue Regierungskoalition umfasst wieder ein Dutzend Gruppen; sie wird
instabiler und unbeweglicher sein als die alte. Zugchef D'Alema wird künftig
noch mehr zwischen Abteil und Großraumwagen pendeln müssen,
um Frieden zu stiften und sich seiner Akzeptanz zu versichern.
Das „Kleeblatt" muss gehen
Sollen die Hintergründe der jüngsten Regierungskrise in Italien
erklärt werden, ist eine Übertragung auf deutsche Verhältnisse
unmöglich - jeder Vergleich würde mehr hinken als tragen, zu
absurd ist die italienische Komödie. Vorhang auf: Im Oktober 1999
fordert die von Romano Prodi gegründete Partei Die Demokraten,
an der Regierung beteiligt zu werden. Bis dahin hatte die Partei Ministerpräsident
D'Alema unterstützt, ohne der Mitte-Links-Koalition anzugehören.
Durch den Erfolg der Demokraten bei der Europawahl im Juni (auf
Anhieb acht Prozent) wuchs auch die Bedeutung der Abgeordneten in Rom.
Das machte übermütig. Zusätzlich zum Sitz im Kabinett verlangten
sie, dass drei Kleinparteien (Kleeblatt) die Regierungskoalition verlassen
müssen. Zu den so Gescholtenen zählten der frühere Staatspräsident
Francesco Cossiga mit seiner Partei und die Demokratischen Sozialisten
(SDI).
Der von den Demokraten ausgeübte Druck erzeugte Gegendruck.
Enrico Bosselli, Chef der SDI, forderte Mitte Dezember D'Alemas Rücktritt.
Oppositionsführer Silvio Berlusconi mahnte, es drohe die Spaltung
von Land und Parlament. Übertrieben war dieses Szenario und aussichtslos
die Forderung nach Neuwahlen. Als Massimo D'Alema am 18.12. 1999 zurücktrat
bestanden kaum Zweifel, dass Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi
ihn wieder mit der Bildung einer Regierung beauftragen würde.
Wohl auch, weil Weihnachten vor der Tür stand und trotz aller Egoismen
kein italienischer Politiker zusehen wollte, wie das Land ohne Regierung
ins neue Jahrtausend taumelt, ging die Bildung der neuen Regierung in Rekordzeit
über die Bühne. Doch die Bretter, auf denen der Ministerpräsident
steht, sind brüchig. Von 630 Abgeordnete sprachen 310 der Regierung
das Vertrauen aus, 287 stimmten gegen D'Alema. Zünglein an der Waage
werden künftig die drei kleinen Gruppen sein, die die Demokraten
verdrängen wollten. Sie haben sich bei der Vertrauensabstimmung enthalten
aber kündigten an, künftig von Fall zu Fall mit Regierung oder
Opposition zu stimmen.
D'Alema hätte zumindest die Sozialisten gerne wieder im Kabinett
gehabt, aber ein Thema verhinderte den sonst üblichen Minimalkonsens.
Italien muss sein Wahlrecht reformieren. Die Politiker wissen das schon
lange, nun aber hat Staatspräsident Ciampi ausdrücklich erklärt,
er wünsche sich von der neuen Regierung eine Lösung dieses Dauerproblems.
Der Streit um das Wahlrecht verhindert den Konsens
Das geltende Wahlrecht führt zu einer Aufsplittung der Parteienlandschaft.
Es gibt den kleinen Parteien Macht, die in keinem Verhältnis steht
zu deren Bedeutung. Die jüngste Krise bestätigt dies, aber auch
zuvor haben Miniparteien und deren Führer ihren Einfluss zum Schaden
des Landes ausgereizt. 1994 brachte die rechtspopulistische Liga Nord das
Kabinett von Silvio Berlusconi zu Fall, im Oktober 1998 beendeten die Altkommunisten
das erste Mandat von Romano Prodi. Auslöser waren weniger Differenzen
in Sachfragen als Geltungsdrang und persönliche Gründe.
Ohne Reformen wird Italien nicht stabil werden. Doch mit der Zustimmung
zu Mehrheitswahlrecht und Fünf-Prozent-Hürde würden sich
die über 40 Splitterparteien selbst begraben. Was bleibt ist die Stimme
des Volkes, doch dessen Ruf nach Veränderung war zu leise, zu zögerlich.
Ein für den April 1999 angesetztes Referendum über eine Wahlrechtsreform
scheiterte an mangelnder Wahlbeteiligung. Für das nächste Jahr
wird ein neues Referendum angestrebt. Für D'Alema kommt es vielleicht
zu spät. Angeschlagen und mit geschrumpfter Mehrheit im Parlament
vermag D'Alema nicht, die Weichen zu stellen. Die im Frühjahr bevorstehenden
Regionalwahlen und der Blick auf die Parlamentswahlen 2001 erschweren die
Konsensfindung. Der Oppositionsführer Berlusconi, dessen Forza
Italia zweitstärkste Partei im Abgeordnetenhaus ist, könnte
gefallen finden an einem Mehrheitswahlrecht, auch wenn dies seinen rechtsnationalen
Koalitionspartner Alleanza Nazionale schwächen würde.
Berlusconi weiß aber auch: das bestehende Verhältniswahlrecht
schwächt die Mitte-Links-Koalition. Er wittert Morgenluft und taktiert.
Das neue Kabinett ist nur wenig verändert. Aber Die Demokraten
haben den Platz bekommen, den sie wollten. Der neue Innenminister Enzo
Bianco fährt auf ihrem Ticket ebenso wie der Minister für öffentliche
Arbeiten. Ihre Ausbeute nach vier Tagen Regierungskrise: Statt Null nun
zwei Minister in einem von 26 auf 25 Minister geschrumpften Kabinett. Nun
sind wieder alle Plätze belegt. Der Zug kann weiterfahren, nur wohin
weiß man nicht. Weiterführende Links:
E-mail: e.palumbo@gmx.de
Das Italienische Parlament: http://www.camera.it/index.asp
Homepage der Italienischen Regierung: http://www.palazzochigi.it/
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