e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 908 )


Das Politische Buch - Biografien / Erinnerungen

Thilo Thielke: Eine Liebe in Auschwitz

Thilo Thielke: Eine Liebe in Auschwitz

Autor :  Redaktion e-politik.de
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Eine Liebe am Ort, der der Liebe am weitesten entfernt ist: Auschwitz. Spiegel-Redakteur Thilo Thielke, erzählt die Geschichte einer Liebe im Vernichtungslager. Das Buch aber verliert in Geschichten, kritisiert Bruno Bader.


Kann man nach der "KZ-Lüge" von Benjamin Wilkomirski, der erfundenen Geschichte von KZ-Aufenthalten des Bruno Doesseke aus dem Jahr 1995, noch unvoreingenommen ein Buch lesen mit dem Titel "Eine Liebe in Auschwitz"?! Ruth Klüger schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 30. September 1998, dass "wir uns nicht nur in unserer Urteilsfähigkeit, sondern auch in unserem intimeren Gefühlsbereich betrogen fühlen". Unter diesem Vorbehalt ist möglicherweise das vorliegende Buch über Auschwitz als Konglomerat aus Geschichtsschreibung, Dokumentationsversuchen und biografischem Roman entstanden.
Thilo Thielike, Redakteur beim Spiegel schrieb ein Buch über den Polen Jerzy Bielecki, der als junger Mann als politischer Häftling nach Auschwitz kommt und dort die Jüdin Cyla Cybulska trifft und lieben lernt. Beiden gelingt die Flucht. Bielecki geht im letzten Kriegsjahr zu den Partisanen und verliert Cyla aus den Augen. Erst 1983 treffen sich beide wieder, der letzte Satz des Buches lautet: "Für die große Liebe jedoch ist es zu spät."

Ein verwirrendes Gemenge – mit unbeholfenen Zitaten

Das ganze Buch ein großer Liebesroman? Oder ein Dokument der grausamen KZ-Unmenschlichkeit? Oder Geschichtsaufarbeitung? Nein, von allem ein bißchen. Thielke schreibt immer wieder seitenlange, excerptähnliche Zusammenfassungen aus Geschichtsbüchern über Ideologie, Kriegsziele, Propaganda des Dritten Reiches sowie Stellungnahmen zur polnischen Geschichte mit zahlreichen wörtlichen Zitaten von Politikern aus beiden Ländern. Auch eine Landkarte des besetzten Polen fehlt nicht. Sätze wie "Es kommt zum Krieg, von dem bereits viele wissen, daß es ein großer Krieg wird." stehen etwas unbeholfen neben dem Goebbelszitat: "Polen ist erledigt."
Neben diesen längeren Ausführungen erscheint immer wieder als Einschub der eigentliche "Roman": Bieleckis Jugendzeit mit seiner Familie, das Bemühen, sich mit seinen Brüdern dem polnischen Widerstand anzuschließen, und diese Schilderungen werden im Präsens erzählt in spannender Aufmachung mit häufiger wörtlicher Rede. Immer wieder werden die jeweiligen Gefühle und Gefühlsausbrüche der Protagonisten farbig geschildert. Allen beteiligten Romanpersonen bis zum SS-Hauptsturmführer Karl Fritsch werden kurioserweise wörtliche Zitate in den Mund gelegt.

Was bedeuten die Anführungszeichen?

Nach der Internierung Bieleckis in Ausschwitz werden wieder längere Geschichtsabrisse, detaillierte Karten des Lagers, Fotos von Häftlingen, Fotos von Briefen und von Gebäuden bunt gemischt. Unterbrochen wird diese Art der Dokumentation von Romanfragmenten mit langen oft gefühlsbetonten Redezitaten der verschiedensten beteiligten. Unklar dabei sind Zitate wie beispielsweise "Jerzy Bielecki ist ‚bestürzt‘" über Gerüchte von Massentötungen. War er damals bestürzt oder jetzt, in der journalistisch aufgearbeiteten Erinnerung? Ähnliche Unklarheit beschleicht den Leser, als Bielecki im KZ "zehn junge Mädchen – alle ausgesprochen ‚hübsch und gesund‘ sieht". Er fühlt sich "von seinen Gefühlen völlig überrumpelt, das Herz rast, und ‚kalte Schauer‘ laufen ihm über den Rücken", als ihn eine junge Frau anlächelt, nämlich Cyla. Nur: Was bedeuten die Anführungszeichen?
Jetzt beginnt nach 140 Seiten die eigentliche Liebesgeschichte und geht fließend über in die Erzählung der abenteuerlichen Flucht aus dem KZ, die wirklich spannend und packend geschildert wird. Fotos der originalen Suchmeldung der Geheimen Staatspolizei sowie der beteiligten Personen werden im Text ergänzt.

Geschichte oder bloß Geschichten?

Eigentlich wird eine einfache Geschichte zweier KZ-Häftlinge erzählt.
Dieses Anliegen zu verstehen wird durch ein formales Chaos erheblich erschwert. Angenommen die Geschichte ist wahr, warum schrieb Thielke nicht einen einfachen Bericht oder auch Roman? Möglicherweise bemüht der Autor den "dokumentarischen" Hintergrund und Geschichtsabriß, um dem Mißtrauen einer Fälschung zuvorzukommen. Da aber alle Zitate ohne Fußnoten erscheinen und die Zeitgeschichte populärwissenschaftlich vereinfacht aufgetischt wird, nimmt die Verwirrung des Lesers zu. Sollen die Dokumente die Geschichtsschreibung stützen? Soll der "Roman" das Geschichtsbild ergänzen? Das ganze also ein Buch über die Verfolgung der Juden und Polen? Über doch mögliche Gefühle im KZ? Subjektive Darstellung von Humanität unter extrem unmenschlichen Bedingungen? Oder doch nur eine Erzählung als Zeitdokument?
Letztere Auffassung verböte jede auch literarische Kritik! Doch Thilo Thielke muß schon befragt werden, warum er in dieser vorliegenden Form das Buch schrieb. Der "Roman"teil ist sprachlich hilflos und dürftig und der "Dokumentar"teil ist fragmentarisch und unwissenschaftlich. Hier kommt wieder Mißtrauen hoch.
Ruth Klüger schreibt in ihrem Artikel über Wilkomirski: "Wir werden auch weiterhin Bücher, die sich als Geschichte ausgeben, anders lesen müssen als solche, die Geschichten enthalten." Also Geschichte oder Geschichten? Formal gesehen versucht Thielke beides in seinem Buch. Allerdings leidet gerade deshalb die Glaubwürdigkeit darunter, nicht etwa, weil die Geschichte von Jerzy und Cyla nicht stattgefunden hat, vielmehr da die (sprachliche) Form unwahr ist.
Imre Kertesz verwendet in seinem "Roman eines Schicksallosen" ausschließlich "eine" Sprache, die Wahrnehmung eines 15-Jährigen, und wir lesen diese Schilderung in tiefer Betroffenheit. Jerzy und Cyla waren ebenso Betroffene, ihre Geschichte muß man aufschreiben und bekanntmachen, aber deutlicher und "reiner" als im Geschichtsdokumentarroman von Thilo Thielke mit dem unsäglichen Titel "Eine Liebe in Auschwitz"!

Thilo Thielke: Eine Liebe in Auschwitz
Spiegel-Verlag (2000), 233 Seiten
39,90 Mark
ISBN 3-455-15025-X


Bruno Bader ist Internist. Er lebt in Fürstenfeldbruck bei München.





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