![]() |
![]() |
![]() |
e-politik.de - Artikel
( Artikel-Nr: 707 )Frankreichs Hinwendung zu Europa - ... que vive la France! Autor : Anja Jakob Seit dem 2. Juli 2000 ist Frankreich Fußball-Europameister, einen Tag vorher übernahm Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft. Ist das Jahr 2000 das Jahr der Franzosen in Europa? Anja Jakob analysiert die Beweggründe des Engagements Frankreichs für Europa. Ambitionierte Ziele der französischen Ratspräsidentschaft
Dem Land, das sechs Monate lang den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehat, obliegt eine besondere Verantwortung. Es hat jedoch gleichzeitig die Möglichkeit, seine Handschrift zu hinterlassen. Frankreich scheint sich insbesondere letzteres auf die Trikolore geschrieben zu haben.
Ob unter Frankreichs Vorsitz diese ambitionierten Ziele tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, wird das nächste halbe Jahr zeigen. Warum Frankreich allerdings zu diesem Zeitpunkt so vehement die Belange Europas verficht, kann und darf nicht lapidar mit der Begründung der französischen Ratspräsidentschaft abgetan werden. Die Ursachen hierfür liegen sicherlich tiefer.
Geschichtlicher Anachronismus
Mit seiner Rede vor dem deutschen Bundestag am 27. Juni 2000 setzte sich Jacques Chirac, der Gründer der gaullistischen Nachfolgepartei RPR, eindeutig in die geschichtliche Folge Charles de Gaulles. Ganz bewußt suchte er die Nähe zu den europäischen Gründervätern, in einer Reihe fielen Namen wie de Gaulle, Adenauer, Brandt, Pompidou, Helmut Schmidt, Valery Giscard d'Estaing, Helmut Kohl und Francois Mitterand. Sich auch seiner historischen Rolle bewußt, rief er dazu auf, nicht zuzulassen, dass das europäische Aufbauwerk zunichte gemacht werde.
Chiracs Rede ist einmal mehr Symbol des neuen, alten Frankreich, ein Frankreich, dass nach einer Neubestimmung seines Platzes innerhalb der Welt und somit auch innerhalb Europas sucht. Diese neue Hinwendung Frankreichs zu Europa, die – abgesehen von der Zeit der Gründerväter – lange Zeit von starker Zurückhaltung aus Angst um die nationale Souveränität geprägt war, erlebt mit Chirac eine Renaissance. Dieser Kurswechsel ließ sich schon 1991 mit der Unterzeichnung des Maastricht Vertrages festmachen. Das ein Jahr später durchgeführte Referendum, das zur Ratifizierung des Vertrages führte, kann als ein Neubeginn des Verhältnisses zwischen Frankreich und Europa angesehen werden.
Auch innerhalb Frankreichs wurde in den letzten Jahren der Weg geebnet, der nun in Chiracs Rede gipfelte. Den innerhalb Frankreichs eingetretenen Sinneswandel verdeutlichte der ehemalige Premierminister Edouard Balladur mit folgenden Worten: "Dank Europa kann Frankreich, wenn es bereit ist, seine Souveränität zu teilen, die in nicht wenigen Bereichen theoretisch geworden ist, einen Einfluß besitzen und eine unendlich wirkungsvollere Rolle spielen, als wenn es alleine bliebe".
So begegnet uns die Geschichte Europas, 50 Jahre nach dem Schuman-Plan, erneut. Was die europäische Zukunft angeht, so ist Chirac hier ganz in der Tradition de Gaulles zu sehen, die Motivation aber ist eine andere.
Das Ende der "Grande Nation"?
Stellt man sich die Frage nach der Motivation Chiracs und Frankreichs gerade jetzt europapolitisch derart aktiv zu werden, so lassen sich zwei Faktoren nicht verleugnen. So zum ersten die Rede Joschka Fischers zur europäischen Zukunft. Zwar haben sich die Wogen der ersten Tage längst wieder geglättet und man ist bereits wieder zur Tagespolitik zurückgekehrt, doch der Impuls, der von Fischers Rede ausging, hat seine Wirkung gezeigt. Frankreich musste reagieren und so wurde denn auch die Rede des französischen Präsidenten explizit als Antwort auf Fischers Rede angekündigt. Dabei gelang es Chirac noch einen Schritt weiterzugehen. Zwar auch mit dem visionären Anspruch, doch weitaus konkreter und ausgegorener präsentierte Chirac seine Vision von der Zukunft Europas. Mag diese Antwort Frankreichs nun geschlossener und realistischer erscheinen, so ist sie doch nicht viel mehr, aber auch nicht viel weniger als die Reaktion auf eine bereits angestoßene Diskussion.
Als zweiter Faktor läßt sich die Position Frankreichs in der Welt und somit auch in Europa nennen. Seit de Gaulle findet sich Frankreich in einem Wandel von einer Führungsrolle innerhalb der internationalen Gemeinschaft hin zu der Vermittlerrolle wieder. Ausdruck dieser neuen internationalen Rolle ist die "Diplomatie der offenen Tür", die Frankreich praktiziert. Mit seiner Rede vor dem Bundestag ließ Chirac erkennen, daß Frankreich Europa braucht und dafür auch bereit ist, Zukunftsvisionen und Engagement mitzubringen. Mit einem starken Europa-Befürworter Deutschland an seiner Seite, kann es Frankreich gelingen, zu seiner alten Selbstverständnis als "Grande Nation" zurück zu finden.
Dass dieses Konzept aufgeht, lässt sich bereits daran erkennen, dass in England die Skepsis gegen diese neue, starke deutsch-französische Allianz wächst. Verunsichert sehen die Briten dem Treiben auf dem Festland zu.
Logo EU-Vorsitz Frankreichs: Copyright liegt bei der französischen Staatsregierung / EU
E-mail: redaktion@e-politik.de
Was Präsident Chirac in seiner Rede bereits ausführte, ist nun offizielles Programm: Vereinbarkeit der Modernisierung der Wirtschaft mit der Stärkung des europäischen Gesellschaftsmodells, größere Bürgernähe der Europäischen Union, Vorbereitung der Erweiterung der Union und Stärkung der Stellung Europas in der Welt. Besondere Betonung legt Frankreich dabei auf eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts und institutionelle Reformen als Vorbereitung zur Erweiterung.
Um jedoch nicht falsch verstanden zu werden: Das düstere Bild von einem übermächtigen deutsch-französischen Tandem soll hier nicht gezeichnet oder prognostiziert werden.
In dieser neu erstarkten deutsch-französischen Zusammenarbeit liegt vielleicht der Schlüssel zu einem starken Europa. Frankreichs Motivation ist also ganz legal, wenn auch von nicht geringem Eigeninteresse.
In diesem Sinne: "Es lebe Frankreich! Es lebe Deutschland! Es lebe Europa!"
![]() |