e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 1762 )


Spanien

Spanische Flagge

Ungemütliche Zeiten in Spanien

Autor :  Antje Helmerich
E-mail: redaktion@e-politik.de

Die erfolgsverwöhnte Regierung von Ministerpräsident José María Aznar steckt in der Krise. Jetzt reagierte der Regierungschef mit einer groß angelegten Regierungsumbildung. Antje Helmerich fasst zusammen.


Aus Spanien sind - wenn es nicht gerade um das Baskenland geht - seit Jahren fast nur gute Nachrichten zu hören. Man hatte sich fast schon daran gewöhnt: beneidenswertes Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren, rapide sinkende Arbeitslosenzahlen, politische Stabilität und wachsendes Gewicht in Europa. 25 Jahre nach dem Ende des autoritären Franquismus und dem Beginn der Demokratisierung gleicht die spanische Entwicklung einer Erfolgsstory. Dahinter steht seit 1996 mit José María Aznar ein Mann, ebenso unscheinbar wie pragmatisch, den die meisten vor sechs Jahren noch unterschätzt und belächelt hatten.

Mit neuen Ministern gegen die Krise?

Im Sommer 2002, genau zur Halbzeit seiner zweiten Legislaturperiode, ziehen jedoch graue Wolken am Horizont auf. Seit Wochen geistert das Wort von der Krise durch die spanische Öffentlichkeit. Die Regierung verliere an Stärke und Souveränität, einige ihrer Mitglieder seien ihrem Amt nicht mehr gewachsen, auch dem Chef gehe die Luft aus, so titelten die großen Zeitungen. Aznars Reaktion auf die stärker werdende Kritik inner- wie außerhalb seiner Partei, der Partido Popular (Volkspartei, PP), war drastisch und überraschend zugleich: am 10. Juli 2002 wechselte er acht von bisher sechzehn Ministern aus.

Neue Außenministerin ist Ana Palacio, ehemalige Europaabgeordnete und Schwester der Vizepräsidentin der EU-Kommission Loyola de Palacio. Der bisherige Amtsinhaber Josep Piqué wechselt ins Ministerium für Wissenschaft und Technologie. Innenminister Mariano Rajoy, eines der Schwergewichte in der PP, ist neuer Minister der Präsidentschaft und zugleich Sprecher der Regierung. Im Innenministerium folgt ihm Angel Acebes nach, der bisherige Justizminister und maßgebliche Autor des neuen Parteiengesetzes, von dem sich die Regierung Aznar Erfolge im Kampf gegen die baskische ETA erhofft.

Die konservative Wende

1996 entschied sich die Mehrheit der spanischen Wähler nach vierzehn Jahren sozialistischer Herrschaft unter dem charismatischen Felipe González knapp für José María Aznar als neuen Premier. Er schien der Richtige zu sein, um eine neue Ära einzuleiten, wenngleich niemand so recht wusste, wie und warum. Er selbst brachte kurz nach seinem Amtsantritt seinen Erfolg nicht ohne Selbstironie auf den Punkt, als er sagte: "Ich habe gewonnen, weil ich so normal bin." Normal sagt er - langweilig sagen andere. Die allgemeine Heiterkeit über seine unbeholfenen öffentlichen Auftritte und sein linkisches Lächeln waren das eine, Befürchtungen, mit ihm würden die alten Franquisten an die Macht zurückkehren, das andere.

Bald aber überzeugte seine Regierung vor allem in der Wirtschaftspolitik. Die Arbeitslosigkeit wurde von über 20 % auf 11 % gedrückt, durch ein rigides Sparprogramm konnte das Haushaltsdefizit deutlich verringert werden, die Staatsverschuldung wurde eingedämmt und das Wirtschaftswachstum lag in den letzten Jahren beständig über 3 %. Ende 1996 gelang es, die Konvergenzkriterien von Maastricht zu erfüllen. Danach war die Kritik an Aznar weitgehend verstummt, nur die spanischen Intellektuellen haben ihren Frieden mit dem studierten Juristen, der zuvor Regierungschef der Region von Castilla-León war, nie gemacht.

Licht und Schatten

Im Jahr 2000 erlebte der konservative Regierungschef seinen größten Triumph: die absolute Mehrheit bei den Parlamentswahlen. Mitte 2002 jedoch ist der Zauber des ehemaligen Steuerbeamten scheinbar verbraucht. Und auch die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2002 hat allenfalls internationales Renommee gebracht.

So rüsten die Gewerkschaften zum Kampf gegen den Abbau des Sozialstaates. Auslöser ist die Ankündigung der Regierung, den Bezug von Arbeitslosenunterstützung zu erschweren, um die Erwerbslosen zur Arbeitsaufnahme zu zwingen. Der Generalstreik am 20. Juni 2002 galt als Auftakt einer "heißen Phase". Und auch die sozialistische Opposition, jahrelang mit sich selbst beschäftigt, ist zu neuer Stärke erwacht. Längst hat der neue sozialistische Parteichef José Luis Rodríguez Zapatero Aznar den ersten Rang auf der Skala der beliebtesten und vor allem glaubwürdigsten Politiker abgelaufen und dem Regierungschef im Zuge der Rede zur Lage der Nation am 15. und 16. Juli 2002 die Stirn geboten.

Oder ist die Kabinettsumbildung bereits ein Vorgeplänkel des anstehenden Machtkampfes in der PP? José María Aznar wird zu den Wahlen in zwei Jahren nicht mehr antreten und so stellt sich in Kürze unweigerlich die Nachfolgefrage. So sahen manche in der Ministerauswechslung auch einen Schachzug von Aznar, um seine Favoriten rechtzeitig in Position zu bringen. Wird es ihm gelingen, Gewerkschaften und linken Oppositionellen mit praktikablen Konzepten entgegenzutreten? Kann er in den nächsten zwei Jahren Erfolge in der ETA-Bekämpfung - neben der Arbeitslosigkeit das große Anliegen jeder spanischen Regierung - erzielen? Fest steht: es wird ungemütlich werden für den erfolgsverwöhnten Regierungschef, bis die Spanier im Jahr 2006 das nächste Mal zu den Urnen schreiten.




Weiterführende Links:
   Seite der spanischen Regierung: http://www.la-moncloa.es/
   Seite der Partido Popular (PP): http://www.pp.es/


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