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( Artikel-Nr: 1103 )Matthias Beltz: Eigenes Konto - Wenn alles sich rechnet + niemand bezahlt Autor : Claus von Wagner Der Zeugenauftritt von Joschka Fischer im Prozess um den ehemaligen Terroristen Hans-Joachim Klein: Zeitgeschichte. Unbekannter dagegen: Auch Kabarettist Matthias Beltz wurde als Zeuge gehört. Claus von Wagner über Beltz und sein aktuelles Programm. Dezember 1975. Ein sechsköpfiges Kommando unter dem Befehl des Terroristen "Carlos" überfällt die OPEC-Ölministerkonferenz in Wien. Drei Menschen werden erschossen. Einer der Terroristen ist Hans Joachim Klein. Eineinhalb Jahre nach dem Anschlag wendet er sich hilfesuchend an Matthias Beltz. Aus Angst vor seinen ehemaligen Terror-Genossen. Zusammen mit dem jetzigen Europaabgeordneten der Grünen, Daniel Cohn-Bendit, und anderen Personen hilft Beltz Klein dabei unterzutauchen. Etwa 20 Jahre später wird Klein gefasst, es kommt zu einer vielbeachteten Gerichtsverhandlung. Im Dezember 2000 wird der Kabarettist Matthias Beltz neben Joschka Fischer als Zeuge geladen. Beide kennen Klein seit den frühen 70er Jahren aus der linksradikalen Szene in Frankfurt am Main. Ein ehemaliger Terrorist, ein Außenminister und ein Kabarettist: Deutsche Geschichte war noch niemals einfach. Aus seiner Einstellung zu Politik und Gesellschaft hat Matthias Beltz nie einen Hehl gemacht. Sein Herz schlägt links und sein Verstand teilt gehörig aus. Natürlich ist er vorsichtiger geworden, führt seit neuestem Tagebuch, wie er in seinem aktuellen Programm spöttisch bemerkt: "Damit ich auch noch in 25 Jahren weiß, mit wem ich gefrühstückt habe." Wer Bilanz zieht, müsse sich eben auch um die Buchführung kümmern. Die Debatte über Joschkas Vergangenheit findet der 57 Jahre alte gelernte Jurist schlichtweg eine "dumpfe Klamotte". In einem Artikel im Magazin Stern schreibt er: "Hier wird besessen von linker wie von rechter Seite aufgerechnet und gesagt: ‚Wer ist schuld?!'" Unterschiedliche Lesarten von Vergangenheit ohne moralische Wertung würden dabei nicht zugelassen. Doch die seien unabdingbare Voraussetzung für eine
"geistige Auseinandersetzung" mit der deutschen Vergangenheit. Vom Saufen und der Moral Wie soll man bei soviel Ernst noch lachen können? Es geht. Matthias Beltz zeigt es in seinem neuen Programm Eigenes Konto. Denn: Spaß muss sein. Bliebe die Frage: "Wie kommt es zum Spaß?" Seine lakonische Antwort: "Drogen." Außerdem solle sich jeder dazu verpflichtet fühlen "glücklich sein wollen zu müssen", um andere nicht mit seinem Unglück zu belasten. Auch eine Spaßgesellschaft hat Regeln. Statt "Wie geht's?" sagt man "Geht's gut!" Das müsse zu schaffen sein, notfalls mit Alkohol. "Unser soziales Ideal ist der Säufer der rechtzeitig zur Arbeit geht."
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Böse - Gut - Gut - Böse ?
"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Nein, schmunzelt Beltz, das sei ihm zuviel Arbeit. Er halte sich an den Spruch: "Das Gute - dieser Satz steht fest - ist stets das Böse, dass man lässt." Hier verflüchtige sich der blinde Aktionismus ins stille Unterlassen. Doch wie das Böse unterlassen, wenn man doch nicht weiß was es ist? Der Kabarettphilosoph im Dilemma: Das Böse sei die Geburtshelferin des Guten, soweit so... "gut"? Doch wo steckt diese Geburtshelferin? Der 57-jährige weiß es nicht: Unbekannt verzogen, die Adresse: Moskau, Kreml, dreimal klopfen, gelte nicht mehr. Der Fall des Weltkommunismus macht sich bemerkbar.
Im freien Fall assoziiert sich Beltz quer durch die Philosophie, schraubt sich wieder in dialektische Höhen, um dann jäh im Sturzflug mit der Realmoral zu kollidieren. Die politischen Parteien glühen bei diesem gedanklichen Funkenflug nur leise im Hintergrund. Die SPD befinde sich mental in der Toskana, während die Grünen zur Rotweinpartei aufgestiegen seien. Die CDU: Verantwortung, Gewissen? Nein! Die Lösung ist einfach - aber von der SPD: "Gibt's politisch eine Panne - folgt auf das Ehrenwort die Wanne." Sagt´s und grinst bis über beide Ohren. Ein Barschel, wer Böses dabei denkt.
Revolutionär durch Empörung
Selbstkritik gehört bei Beltz zum guten Ton. Er sei jetzt über 50 und nicht in der Lage seinem Patenkind zu erklären, warum es ihn nicht schon mit 60 totschlagen dürfe. Schöne Zukunft! Aber auch die eigene Vergangenheit beleuchtet der Linksintellektuelle schonungslos. Verärgert über Vietnam habe er in Frankfurt dem Amerikahaus die Scheiben eingeschmissen - allerdings hätte ihn drei Tage zuvor die Gabi verlassen: "Und ich hatte ich so einen Hals - wegen Vietnam." Wenn sich Privates und Politik vermischen, gibt es nur eine Schlussfolgerung: "Zum Revolutionär wird man nicht durch Wissenschaft, sondern durch Empörung." Entsprechend wäre gehandelt worden. Man hätte damals immer bereits vorher beschlossen, Recht zu haben. Am Tatort anfangen zu grübeln, wäre schließlich blöd gewesen.
Beltz' Tatort ist die Bühne: Hier grübelt er über Moral und Anstand, über Gammler mit Corporate Identity, Nazis, Familien als kleinste "Zelle" des Staates, Katholikentage, evangelische Pfeffersäcke, und hat einen "Heidenspaß mit Jesus." Nein, blöd ist das nicht, eher ein gedanklicher Husarenritt. Mit verkehrswidrig schnell vorgetragenen Pointen gibt Beltz der Assoziation die Sporen und galoppiert wie ein wildgewordener Rächer der enterbten Linken durch die republikanische Moralwüste. Wer ihm folgen will hat fast keine Chance: Verweise, Seitenhiebe und Zitate folgen Schlag auf Schlag. Von Goethe über Trotzki, Gottfried Benn bis hin zu Erich Kästner. Oder war das gar nicht Kästner? Zuviel Nachdenken ist bei Beltz gefährlich. Mitdenken ist gefragt. Beltz nimmt keine Rücksicht, weder Himmler, Hitler noch die vielen Kalauer bleiben dem Zuschauer erspart. Das muss man aushalten. Und wären da nicht die kurzen süffisanten Tagebucheintragungen, die Beltz verliest, man hätte keine Zeit zum Atem holen. So schnell wechselt Beltz die Themen, springt in guter alter Kleinkunstmanier in Figuren, reißt sie an, skizziert sie und lässt sie ohne Vorwarnung wieder fallen.
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Die Suche nach der Moral führt Beltz schließlich in die letzte verbliebene moralische Anstalt. Nicht die Kirche! Ins Theater. Und das ist so modern, dass es schon wieder eine Kneipe ist. Gespielt wird ein Stück, in dem 100 arbeitslose chinesische Pornodarsteller Can Can tanzen, die rote Fahne der SPD von Skeletten über die Bühne getragen wird und Til Schweiger als Martin Luther Schindlers Liste ans Brandenburger Tor nagelt. Irgendwo bricht Frieden aus und dann ist es zu Ende.
Fazit: Gott ist tot. Der Sozialismus ist tot. Nur die Rolling Stones sind immer noch auf Tournee. Wer hat überlebt? Die Marktwirtschaft, oder die Kunst? Oder liegt die Antwort wie sooft in der Mitte? Matthias Beltz gibt keine Antworten. Er wirft Fragen auf und kreiert ein eigenes Genre: "Postheroisches Kabarett" nennt er seinen Vortrag. Angelehnt an Dürrenmatt erklärt Beltz den Helden für tot. Die Tragödie, die immer den Sturz eines Helden zum Thema habe, sei damit unmöglich. Auftritt für Komödie und Groteske, als einzig mögliche dramatische Formen, heute das Tragische auszusagen. Das was Matthias Beltz da auf die Bühne stellt ist grotesk, denn es ist unsere Welt, aber es ist auch Komödie, denn Beltz macht sich keine Illusionen über die Veränderbarkeit dieser Welt. Er resigniert nicht - er erkennt. Was bleibt ist Verwunderung, der Rest ist Sprachlosigkeit. Der Mann hat sein Ziel erreicht: Die Menschen begleitet zu haben, von der Hoffnungslosigkeit über die Verzweiflung hin zur Trostlosigkeit. Obwohl, ganz hat er es nicht geschafft: Das Publikum im Münchner Lustspielhaus war begeistert.
Das Programm "Eigenes Konto - Wenn alles sich rechnet + niemand bezahlt" ist auch als CD erschienen. Erhältlich bei WortArt oder über den Buchhandel: ISBN 3-7857-1118-2Weiterführende Links:
Eigenes Konto - Eigene Homepage: Matthias Beltz : http://www.matthiasbeltz.de
Programmbeschreibung Lustspielhaus: http://www.lustspielhaus.de