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e-politik.de - Artikel
( Artikel-Nr: 860 )Europa wehr' Dich - Warum das Europäische Parlament den Vertrag von Nizza ablehnen muss Autor : Philip Alexander Hiersemenzel Die Regierungen haben Rat gehalten. Das erzielte Ergebnis lässt bei den Interessierten die Ernüchterung und bei den Desinteressierten die Gleichgültigkeit wachsen. e-politik.de-Autor Philip Alexander Hiersemenzel zieht Bilanz. Es mag als Zeichen seines schlechten Gewissens gelten. Als Jacques Chirac am Dienstag dem Europäischen Parlament (EP) den in letzter Sekunde und nach bitteren Grabenkämpfen errungenen Vertrag von Nizza präsentierte, zeigte er sich von der ihm deutlich entgegenschallenden Kritik nicht sonderlich überrascht. Chirac sollte sich auch Sorgen machen. Er muss damit rechnen, dass der unter seiner Regie entstandene faule Kompromiss der Regierungskonferenz vom in letzter Zeit recht aufmüpfigen Parlament abgelehnt wird. Und dies zurecht. Denn der Gipfel von Nizza hat sein wichtigstes Ziel verfehlt: Europa ist nicht wirklich erweiterungsfähig. Obwohl die formalen Minimalvoraussetzungen für die Aufnahme von bis zu zwölf neuen Mitgliedern in Ost- und Südosteuropa in die Europäische Union innerhalb des kommenden Jahrzehnts geschaffen wurden, bleibt der Vertrag mangelhaft. Eigentlich gehört es mittlerweile schon fast zu den europapolitischen Platitüden, dass die EU sich zuerst vertiefen muss, um sich zu erweitern. Die hierfür notwendigen Fortschritte in den eng miteinander verwandten Bereichen "Handlungsfähigkeit" und "demokratischen Legitimation und Transparenz" wurden aber nicht erreicht. Denn der Kompomiss schwächt trotz anderslautender Meldungen aus der Propagandamaschinerie der französischen Präsidentschaft die Handlungsfähigkeit der Union. Das Festhalten am Prinzip "ein Land, (mindestens) ein Kommissar" ist da noch das geringste Problem. Es ist ja zu verstehen, wenn gerade die "Kleinen" an "ihrem" Kommissar mit seiner Doppelfunktion als nationales Prestigeobjekt und "Anlaufstelle" im Brüsseler Politsumpf festhalten wollen. Nicht zu verstehen dagegen ist, dass der natürliche Ausweg aus diesem Dilemma – eine deutliche Stärkung der Position des Präsidenten der Kommission – verhindert wurde. Solange Prodi oder ein anderer die Kommissare weder ernennen noch entlassen darf, bleibt seine Position in der Kommission zu sehr beschränkt, um sie in eine schlagfertige und effiziente europäische Administration zu verwandeln. Dieses Versäumnis ist allerdings nicht, wie man auch vermuten könnte, auf Unfähigkeit unserer Regierungen zurückzuführen, sondern hat Methode. Ein Prinzip das sich in den letztem beiden Jahrzehnten der Europapolitik immer stärker kristallisiert, findet hier seine Fortsetzung: die bewusste Schwächung der Kommission zu Gunsten des Rates. Unter diesen Umständen ist es umso beklagenswerter, dass auch der Fortschritt im Rat nicht weit genug geht. Einerseits bleibt trotz der erfreulichen Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, auf zu vielen wirklich wichtigen Gebieten der Zwang zur Einstimmigkeit bestehen. Andererseits wird die gefundene "dreifache Mehrheit"-Formel die Entscheidungsprozesse nicht vereinfachen, sondern erschweren. Mehr noch als bisher droht der Rat zum Anschauungsobjekt für nationale Machtpolitik zu werden, nicht aber zu einem effektiven Gremium in einer erweiterten Union. Als Chirac das in Nizza erzielte Ergebnis gegen die Vorwürfe der Parlamentarier mit dem Hinweis, zu mehr Integration seien die europäischen Völker einfach nicht bereit, zu verteidigen versuchte, zeigte er – naturgemäss unbeabsichtigt – auf ein weiteres politisches Versagen. In der Tat ist die Identifikation der Bevölkerung mit den europäischen Prozessen conditio sine qua non für eine erfolgreiche Erweiterung. Nur, der Vertrag fördert diese Identifikation nicht, er erschwert sie. Das Parlament erhält keine weiterreichenden Kompetenzen in der europäischen Gesetzgebung und der Rat, der sich wie gesehen wiederum selbst als das eigentliche politische Machtzentrum Europas gestärkt hat, verweigert sich nach wie vor jeglicher Form von Transparenz. Weit entfernt davon, eine "zweite europäische Gesetzgebungskammer" zu werden, entwickelt sich der Rat mehr denn je in die Richtung der europäischen Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts. Wenn die Bürger Europas die Entscheidungen der Union aber nicht nachvollziehen können, kann auch nicht erwartet werden, dass sie sich mit diesen identifizieren. Nein, wirklich, diese Union ist nicht erweiterungsfähig. Die Vertretung des europäischen Demos sollte die Drohung ihres Beobachters in Nizza, der deutsche Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU), wahr machen und den Vertrag ablehnen. Zwar ist die Zustimmung des Parlamentes zum Vertrag nicht zwingend, aber eine Ablehnung wäre mehr als nur ein politisches Zeichen. Zwei europäische Parlamente, Italien und Belgien, haben bereits deutlich gemacht, dass sie den Vertrag im Falle einer Ablehnung durch die Europaparlamentarier nicht ratifizieren würden. Dies würde genau den Druck auf die europäischen Regierungen ausüben, ohne den sie wohl nie zu einer richtigen und mutigen Reform kommen. Foto: Copyright liegt bei der EU
E-mail: redaktion@e-politik.de
Weiterführende Links:
Die Regierungskonferenz 2000 beim EP: http://www.europarl.eu.int/igc2000/default_de.htm
Das EP im Web: http://www.europarl.eu.int/
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