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e-politik.de - Artikel
( Artikel-Nr: 834 )Teil 2: Der Mörder als barmherziger Samariter - Roland Suso Richters Film Nichts als die Wahrheit Autor : Andreas Bock Töten ist eine Gnade. Mit dieser zynischen These stellt sich Dr. Josef Mengele in Roland Suso Richters Geschichte einem deutschen Gericht. Und plädiert auf unschuldig. Andreas Bock hat sich "Nichts als die Wahrheit" für e-politik.de angesehen... "Nicht schuldig!" In einem Glaskasten steht der greise Arzt. Sein Kopf ist kahl, das Gesicht von tausend Falten zerfurcht. Die Stimme dringt scheinbar nur unter Mühen aus dem Mund. Mengele ist selbst nur noch ein Wrack. Wenn die Augen nicht wären. Kalt und emotionslos. Götz George spielt Mengele als Stück Fleisch, dessen Leben sich auf die Augen zurückgezogen hat. Seine Sprache steht in eigenartigem Gegensatz zur leuchtenden, ungebändigten Kraft seiner Augen. Mit Großeinstellungen, die die ganze Mattscheibe mit Georges nur halb angeleuchtetem Gesicht ausfüllen, versuchen Regisseur Richter und Kameramann Martin Langer diese Reduktion zu vermitteln. Schauer jagt es einem Zuhause allerdings nicht über den Rücken, wenn Georges Gesichtsausschnitt zum Bildschirmfüller wird und seine Worte wie zäher Brei aus den Lautsprecher quellen. Was aber nicht am Schauspieler oder am Regiekonzept liegt, sondern einfach der klassische Makel des Videofilms ist: mit der Bild- und Tongewalt des Kinos kann er kaum konkurrieren. Beklemmung aber macht sich beim Zuschauer doch breit. Nur leider nicht auf Dauer.
Ein Erdbeben ohne Folgen
Für die deutsche Gesellschaft wäre die Rückkehr Mengeles ein Erdbeben, das sie in ihren Grundfesten zu erschüttern droht. Ein Haupttäter des Holocaust ist plötzlich da, als Zeitzeuge, als lebendiger Teil der Geschichte, aber auch gleichermaßen als Haßobjekt und Idol. Was Mengele alles erklären, berichtigen, oder verdrehen könnte! Wen er alles belasten, was aufdecken könnte! Und was er freisetzen könnte: die mehr oder minder versteckte Latenz des Neofaschismus beispielsweise. Einen Irrgarten an Beziehungen und Gefühlen läßt Regisseur Richter darum entstehen, der sein Zentrum bei Mengele und seinem Verteidiger Röhm hat. Kai Wiesinger spielt diesmal nicht den skrupellosen und karrieregeilen Advokaten wie in "14 Tage lebenslänglich". Erfolg will er zwar auch haben, aber anders. Seit Jahren schon arbeitet er an einem, an dem (!) Buch über Mengele. Und plötzlich holt der ihn zu sich ins Exil. Mit einer Entführung durch die rechte Szene beginnt der Film. Sie ist die gläubige Klientel, die sich durch Mengele die Erlösung und Bestätigung erhofft, dass Auschwitz nur eine Lüge ist. Eine wichtige Rolle aber werden die Rechten nicht mehr spielen. So wenig wie der rechte Verleger, der kurz als Strippenzieher und Organisator der Entführung wie auch Einreise Mengeles auftaucht. Kurz Blitzlichte wirft Richter auf das weite Umfeld der deutschen Geschichte und der bundesdeutschen Art und Weide damit umzugehen. So kurz diese Blitze sind, so oberflächlich bleiben sie. In Richters Film erschöpft sich Mengeles Auftauchen in einem kleinen Beben, das ohne Folgen für die deutsche Gesellschaft bleibt.
Der "Engel von Auschwitz"
Das Problem Mengele bleibt nicht nur ein Probleme des Gerichtssaals, sondern dadurch vor allem ein Problem von wenigen: des Staatsanwalts und Anklägers, und vor allem ein Problem des Anwalts mit sich und seiner Mutter. Hat auch Mengele Anspruch auf eine Verteidigung, wie es der Rechtsstaat gebietet? Anwalt Röhm zweifelt daran, auch wenn er es gerade vor der Presse als unumstößliches Recht Mengeles verkauft. Die Zweifel sind Wiesingers zweiter Vorname. Der Wille, die Chance mit Mengele live zu reden und für sein Standardwerk zu nutzen, und die Skrupel, für einen Massenmörder und Folterer zu arbeiten, drohen ihn zu zerreißen. Doch Mengele siegt. Auch als körperliches Wrack hält der alte Arzt noch Trümpfe in der Hand die unbewältigte Vergangenheit der Deutschen. Die Mutter des Anwalts war selbst Helferin in einer so genannten Euthanasieanstalt. Zwei Menschen starben durch Injektionen, die sie verabreichte. So motiviert man seinen Anwalt! Damit ist die Bühne frei für den Auftritt Mengeles als Samariter und Wohltäter. Ein ekeliges Spiel mit Überlebenden aus Auschwitz beginnt, mit einem bitteren Einstieg. Mit entwaffnender Offenheit erklärt Mengele dem verdutzten Gericht: "Natürlich wurden in Auschwitz Menschen getötet. Auschwitz war ein Vernichtungslager!" Nur so kann er tatsächlich zum Wohltäter werden.
Zu groß waren die Erwartungen. Schade.
Was eine eindringliche Studie über die Relativität von Gut und Böse, von Recht und Unrecht hätte werden können, ist dem Regisseur leider auf halber Strecke im individualistischen Kleinklein verloren gegangen. Zu viele Andeutungen macht Richter, die er nicht einlöst, die er einfach im Raum stehen lässt. Die rechte Szene läuft quasi am Rande des Bildschirms durch das Bild. Skinheads dienen vor Röhms Haus als Leibwächter, machen einen kleinen Aufmarsch. Fertig. Irgendwie bleibt es in Deutschland seltsam ruhig. Kaum Spannungen, nichts. Wenn die Benzinpreise steigen ist die Empörung und Erregung größer. Zudem stellt der Film zu viele Personen und auch Situationen als offenbar wichtig vor, die es gar nicht sind. Die Entführung Röhms, sein Verhör durch die Polizei. Oder die Vergangenheit der Mutter. Als emotionale Nebenhandlung wird der Mutter-Sohn-Konflikt eingeführt. Sicher wichtig, aber eben nicht im Zusammenhang dieses Films. Man folgt der Mutter in ihre alte Arbeitsstätte, wo der Boden aufgerissen wird. Erklärt aber wird es nicht. Bilder, die unvermittelt bleiben. Bilder und Aussagen, die nichts mit der eigentlichen Frage des Films zu tun haben: Sind die Taten und Täter von Auschwitz zu entschuldigen? Damit aber erschöpft der Film sich und die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Der Reiz und die Beklemmung gehen mit der Länge des Films verloren. Er erinnert darum an einen Artisten, der mit zehn Bällen auftritt, aber nur mit der Hälfte jongliert. Der Zuschauer ist da immer enttäuscht. Zu groß waren die Erwartungen. Schade.
"Nichts als die Wahrheit" (Deutschland 1999)
seit dem 14. November 2000 als Kaufvideo auf dem Markt
Foto: Copyright liegt bei der Columbia TriStar Film GmbH
E-mail: redaktion@e-politik.de
Der Staatsanwalt führt die Opfer als Zeugen der Monstrosität Mengeles vor. Und immer wieder übertritt er ein Gebot des Rechtsstaates: Bis die Schuld bewiesen ist, gilt der Angeklagte als Unschuldig. Auch Mengele? Zwillinge und Krüppel, an denen der Arzt seine Versuche durchführte, treten als Zeugen und Richter in einer Person auf. Anwalt Röhm aber und auch Mengele halten dagegen. Mit juristischer Präzision fragt Wiesinger nach: "Haben Sie gesehen, dass es Dr. Mengele war?" "Waren Sie dabei, als Dr. Mengele die Injektion gab?" "Hätte es auch ein anderer SS-Arzt sein können?" Und immer müssen die Befragten nachgeben: Mengele haben sie nicht gesehen, nicht erlebt, nicht als Täter. Die absolute Steigerung aber ist es, wenn Röhm einem der Überlebenden erklärt, warum er überlebt hat: "Weil Dr. Mengele Sie selektiert hat!" So werden die Versuche zur guten Tat, der die Überlebenden ihr Überleben verdanken! Und Mengele erscheint, in abgeschmackter Verkehrung, plötzlich als der "Engel von Auschwitz".
Die Substanz des Films liegt nicht in der Vergangenheit von Röhms Mutter, die für den Sohn schrecklich ist, sondern in Mengeles Auseinandersetzung mit Recht und Unrecht, in seiner absoluten Uneinsichtigkeit und Unfähigkeit zur Reue. Und die ist schrecklich für die Menschen. Mit seinem bitteren Schlussworten macht George das deutlich und damit auch, was der Film verschenkt hat: "Wenn es einen Gott gibt, kennt er die Wahrheit: Ich bin unschuldig. Die Wahrheit liegt immer hinter den Tatsachen verborgen. Ich habe getötet. Natürlich habe ich getötet, zum Wohle der Menschheit. Weil ich Arzt bin, ein Wissenschaftler. Die besten Ärzte töten, müssen töten, täglich. Heute nehmen sie Ratten, Mäuse und Affen und verlieren kostbare Zeit. Wir haben damals keine Zeit verloren."
Regie: Roland Suso Richter
Buch: Johannes W. Betz
Mit:
Kai Wiesinger (Peter Rohm),
Götz George (Heinz Baumgarten/ Josef Mengele),
Karoline Eichhorn (Rebekka Rohm),
Doris Schade (Hilde Rohm),
Peter Roggisch (Heribert Voigt),
Bastian Trost (Felix Hillmann),
Peter Rühring (Dr. Flüglein),
Michaela Rosen (Gunda Friedrichs),
Stephan Schwartz (Daniel Ginsberg),
Heinz Trixner (Müller),
Jockel Tschiersch (Kommissar Wiechmann),
Detlef Bothe (Siebert)
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