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e-politik.de - Artikel
( Artikel-Nr: 842 )Großbritannien und die EU, oder: Der Jahrmarkt der Eitelkeiten Autor : e-politik.de Gastautor Europa ist derzeit das bestimmende Thema britischer Politik. Aber geht es
wirklich um die britische Europapolitik, fragt Stefan Wolff in einem Beitrag
für e-politik.de. Kaum haben sich die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten auf die Bildung
einer bis zu 60.000 Mann starken schnellen Eingreiftruppe geeinigt, geht in
Großbritannien der Streit zwischen den Parteien über eine Beteiligung des
Königreiches auch schon los. Ohnehin existierende Unwissenheit und
Vorurteile werden durch bewusste Fehlinformation noch erhöht, und der Streit
über die Ausrichtung der Europapolitik erreicht nahezu groteske Ausmaße.
Premier Blair wettert am Morgen gegen die einseitige, verzerrende und
europafeindliche Berichterstattung vieler britischer Medien und vor allem
der einflussreichen Boulevardblätter. Diese dementieren natürlich prompt und
weisen jede politische Einflussnahme zurück, um allerdings bereits am
nächsten Tag in prominenter Weise über Baroness Thatchers Äusserung zu
berichten, dass die Beteiligung an der schnellen Eingreiftruppe
Großbritanniens bisher schwerster Fehler in Europa sei und die
Sicherheitsinteressen des Landes aufs tiefgreifendste gefährde. Und das
alles, so die eiserne Lady, nur aufgrund der Eitelkeit des derzeitigen
Premierministers, dessen durchaus rationale Argumente nur am Rande und
irgendwo in der Mitte der Zeitungen eine Rolle spielen.
Der Ausverkauf des Landes
Gut gebrüllt, Löwin, doch mehr auch nicht. Eine auch nur einigermaßen
tiefgehende Analyse, die natürlich nicht unbedingt die Stärke der
Boulevardpresse ist, würde nämlich zum Beispiel zu Tage bringen, dass es
genau vor zehn Jahren war, als die Konservative Partei sich von Margaret
Thatcher verabschiedete nicht gerade die Krönung ihrer politischen
Karriere. Was liegt da also näher, als sich mit einer Breitseite gegen die
jetztige Regierung in Erinnerung zu bringen, anstatt an den Verlust des
Rückhaltes in der eigenen Partei zu erinnern und erinnert zu werden.
Auch Labour würde gern die nächsten Wahlen gewinnen
Und damit wäre man dann beim eigentlichen Gegenstand der Debatte
angelangt. Es geht nämlich um nichts anderes als um das Ausloten zukünftiger
Wahlkampfstrategien, die wahrscheinlich gar nicht so zukünftig sein werden,
sondern aller Wahrscheinlichkeit nach schon im nächsten Jahr zur Realität
werden könnten. Angesichts der ausgesprochen guten wirtschaftlichen
Situation können die Konservativen ihren traditionellen "Heimvorteil"
in wirtschaftlichen Fragen gegenüber der regierenden Labour-Partei von Blair
kaum ausspielen. Kürzliche Initiativen zur Kriminalitätsbekämpfung, zur
Asylpolitik und zum Drogenmissbrauch haben die Konservative Partei unter
traditionellen Wählern potentielle Stimmen gekostet, und William Hague
selbst ist nicht unbedingt ein Anreiz zu massiver Wählerwanderung zugunsten
der Konservativen. Eher im Gegenteil, wie das Überwechseln des prominenten
Europaparliamentariers Bill Newton Dunn zu den Liberaldemokraten belegt.
Aber solche Eklats lassen sich natürlich mit einer Debatte über eine
angebliche Europa-Armee als weiterer Schritt zu politischer Integration und
Verlust britischer Souveränität gut überdecken.
Dr. Stefan Wolff, 31, ist Politologe am Fachbereich für Europastudien der University of Bath (Großbritannien). Weiterführende Links:
E-mail: redaktion@e-politik.de
Für die Konservativen unter ihrem ziemlich führungsschwachen und noch
weniger charismatischen Parteivorsitzenden William Hague ist die ganze
Diskussion ein ebenfalls willkommener Anlass, sich einmal mehr als
Sachwalter ureigenster britischer Interessen zu präsentieren und gegen den
Ausverkauf des Landes an Brüssel unter Labour zu protestieren. Nachdem die
Kampagne gegen den Euro ("Keep the Pound") ziemlich schnell im Sand
verlief, weil selbst eingefleischten Euro-Skeptikern das Labour-Argument
einleuchtet, dann und nur dann der gemeinsamen Währung beizutreten, wenn es
im besten britischen Interesse ist, hat Hague nun sogleich klargemacht, dass
eine zukünftige konservative Regierung Großbritannien aus dem Euro-Korps
wieder zurückziehen würde.
Bei aller Kritik am politischen Manövrieren der Konservativen darf
allerdings ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich Labour, und
vor allem Tony Blair selbst, in der Europa-Politik nicht unbedingt durch
Führungsstärke ausgezeichnet haben. Das hat einerseits natürlich damit zu
tun, dass auch Labour die nächsten Wahlen gern gewinnen würde. Andererseits
ist es aber auch ein offenes Geheimnis, dass es innerhalb der Partei,
ähnlich wie bei den Konservativen, Gegner und Befürworter stärkerer
Integration gibt, zwischen denen Blair vermitteln muss. Vermeidung klarer
Entscheidungen war eine bisher recht erfolgreiche Strategie britischer
Premierminister, aber in Wahljahren lässt sich das eben nur begrenzt
durchhalten. Aus diesem Grund kommt Tony Blair sicher auch Margaret
Thatchers Intervention nicht ungelegen, ermöglicht sie ihm doch sich klar
von einer bevorzugten Zielscheibe traditioneller Labour-Wähler abzugrenzen.
So scheint im Moment jede der Parteien aus der Europa-Diskussion
Vorteile ziehen zu können. Aber abgerechnet wird eben erst am Wahlabend, und
deshalb wird die Diskussion um Großbritanniens Rolle in Europa weitergehen
unabhängig von allen Eitelkeiten.
Labour Party: http://www.labour.org.uk/
Conservative Party: http://www.conservatives.com/home.cfm
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