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Perspektiven für Europa - Archiv

Die Fraktion der Labour Party im Europäischen Parlament

Großbritannien und die EU, oder: Der Jahrmarkt der Eitelkeiten

Autor :  e-politik.de Gastautor
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Europa ist derzeit das bestimmende Thema britischer Politik. Aber geht es wirklich um die britische Europapolitik, fragt Stefan Wolff in einem Beitrag für e-politik.de.


Kaum haben sich die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten auf die Bildung einer bis zu 60.000 Mann starken schnellen Eingreiftruppe geeinigt, geht in Großbritannien der Streit zwischen den Parteien über eine Beteiligung des Königreiches auch schon los. Ohnehin existierende Unwissenheit und Vorurteile werden durch bewusste Fehlinformation noch erhöht, und der Streit über die Ausrichtung der Europapolitik erreicht nahezu groteske Ausmaße. Premier Blair wettert am Morgen gegen die einseitige, verzerrende und europafeindliche Berichterstattung vieler britischer Medien und vor allem der einflussreichen Boulevardblätter. Diese dementieren natürlich prompt und weisen jede politische Einflussnahme zurück, um allerdings bereits am nächsten Tag in prominenter Weise über Baroness Thatchers Äusserung zu berichten, dass die Beteiligung an der schnellen Eingreiftruppe Großbritanniens bisher schwerster Fehler in Europa sei und die Sicherheitsinteressen des Landes aufs tiefgreifendste gefährde. Und das alles, so die eiserne Lady, nur aufgrund der Eitelkeit des derzeitigen Premierministers, dessen durchaus rationale Argumente nur am Rande und irgendwo in der Mitte der Zeitungen eine Rolle spielen.

Der Ausverkauf des Landes

Gut gebrüllt, Löwin, doch mehr auch nicht. Eine auch nur einigermaßen tiefgehende Analyse, die natürlich nicht unbedingt die Stärke der Boulevardpresse ist, würde nämlich zum Beispiel zu Tage bringen, dass es genau vor zehn Jahren war, als die Konservative Partei sich von Margaret Thatcher verabschiedete ­ nicht gerade die Krönung ihrer politischen Karriere. Was liegt da also näher, als sich mit einer Breitseite gegen die jetztige Regierung in Erinnerung zu bringen, anstatt an den Verlust des Rückhaltes in der eigenen Partei zu erinnern und erinnert zu werden.
Für die Konservativen unter ihrem ziemlich führungsschwachen und noch weniger charismatischen Parteivorsitzenden William Hague ist die ganze Diskussion ein ebenfalls willkommener Anlass, sich einmal mehr als Sachwalter ureigenster britischer Interessen zu präsentieren und gegen den Ausverkauf des Landes an Brüssel unter Labour zu protestieren. Nachdem die Kampagne gegen den Euro ("Keep the Pound") ziemlich schnell im Sand verlief, weil selbst eingefleischten Euro-Skeptikern das Labour-Argument einleuchtet, dann und nur dann der gemeinsamen Währung beizutreten, wenn es im besten britischen Interesse ist, hat Hague nun sogleich klargemacht, dass eine zukünftige konservative Regierung Großbritannien aus dem Euro-Korps wieder zurückziehen würde.

Auch Labour würde gern die nächsten Wahlen gewinnen

Und damit wäre man dann beim eigentlichen Gegenstand der Debatte angelangt. Es geht nämlich um nichts anderes als um das Ausloten zukünftiger Wahlkampfstrategien, die wahrscheinlich gar nicht so zukünftig sein werden, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach schon im nächsten Jahr zur Realität werden könnten. Angesichts der ausgesprochen guten wirtschaftlichen Situation können die Konservativen ihren traditionellen "Heimvorteil" in wirtschaftlichen Fragen gegenüber der regierenden Labour-Partei von Blair kaum ausspielen. Kürzliche Initiativen zur Kriminalitätsbekämpfung, zur Asylpolitik und zum Drogenmissbrauch haben die Konservative Partei unter traditionellen Wählern potentielle Stimmen gekostet, und William Hague selbst ist nicht unbedingt ein Anreiz zu massiver Wählerwanderung zugunsten der Konservativen. Eher im Gegenteil, wie das Überwechseln des prominenten Europaparliamentariers Bill Newton Dunn zu den Liberaldemokraten belegt. Aber solche Eklats lassen sich natürlich mit einer Debatte über eine angebliche Europa-Armee als weiterer Schritt zu politischer Integration und Verlust britischer Souveränität gut überdecken.
Bei aller Kritik am politischen Manövrieren der Konservativen darf allerdings ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich Labour, und vor allem Tony Blair selbst, in der Europa-Politik nicht unbedingt durch Führungsstärke ausgezeichnet haben. Das hat einerseits natürlich damit zu tun, dass auch Labour die nächsten Wahlen gern gewinnen würde. Andererseits ist es aber auch ein offenes Geheimnis, dass es innerhalb der Partei, ähnlich wie bei den Konservativen, Gegner und Befürworter stärkerer Integration gibt, zwischen denen Blair vermitteln muss. Vermeidung klarer Entscheidungen war eine bisher recht erfolgreiche Strategie britischer Premierminister, aber in Wahljahren lässt sich das eben nur begrenzt durchhalten. Aus diesem Grund kommt Tony Blair sicher auch Margaret Thatchers Intervention nicht ungelegen, ermöglicht sie ihm doch sich klar von einer bevorzugten Zielscheibe traditioneller Labour-Wähler abzugrenzen.
So scheint im Moment jede der Parteien aus der Europa-Diskussion Vorteile ziehen zu können. Aber abgerechnet wird eben erst am Wahlabend, und deshalb wird die Diskussion um Großbritanniens Rolle in Europa weitergehen ­ unabhängig von allen Eitelkeiten.


Dr. Stefan Wolff, 31, ist Politologe am Fachbereich für Europastudien der University of Bath (Großbritannien).




Weiterführende Links:
   Labour Party: http://www.labour.org.uk/
   Conservative Party: http://www.conservatives.com/home.cfm


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