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( Artikel-Nr: 2177 )
Großbritannien
Die Geister, die ich rief
Autor : Markus Kink
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Der Krieg im Irak schlägt zwei Monate nach seinem offiziellen Ende Wellen. Der Tod des britischen Regierungsberaters und -kritikers David Kelly ist das vorerst letzte Kapitel einer Reihe von Krisen, Einlassungen und Vorfällen. Von Markus Kink
Die Argumente der Kriegsparteien zur Legitimation des Krieges im Irak nehmen groteske Formen an. Bush und Blair verkünden leichthin, die Geschichte werde ihnen vergeben, selbst wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, was zuvor schon alle ahnten. Tony Blair, der innenpolitisch zuletzt arge Probleme hatte - Rücktrittsforderungen inklusive - holte sich in Washington die dringend notwendigen Streicheleinheiten.
Die Zeichen kündeten von leichter Enspannung für den britischen Premier. Zumindest die Hoffnung durfte keimen, dass die Geister, die er unter Anleitung von US-Präsident Bush gerufen hatte, ihn alsbald nicht mehr heimsuchen würden.
Der Tod des ehemaligen UN-Waffeninspekteurs und britischen Regierungsberaters David Kelly macht diese Hoffnungen zu nichte. Der Biowaffenexperte, der als äußerst höflich und ungemein sachverständig galt, wurde am vergangenen Freitag, 18.07.2003, tot aufgefunden. Polizei und Behörden verbreiten derzeit zwar einhellig, dass eine Identifizierung noch ausstehe, der Tote also nicht zwangsläufig David Kelly sein müsse. Es dürfte indes schwer sein, den Briten mit den markanten Gesichtszügen, der hohen Stirn, seinem weißen Bart und der großen Brille nicht zu erkennen. War sein Gesicht in den vergangenen Tagen doch in allen Medien. Kelly war von offiziellen Stellen zunehmend kritisiert worden.
Kritik an Kelly - Krise für Blair
Zuletzt hatte er sich mit Vorwürfen auseinandersetzen müssen, die undichte Stelle zu sein, aus der die BBC ihren umstrittenen Beitrag um unwahre und aufgebauschte Geheimdienstberichte gespeist hatte. Der Beitrag hatte unter anderem der britischen Regierung vorgeworfen, mit ihrer bewusst auf Täuschung ausgelegten Politik einen ungerechtfertigten Krieg im Irak herbeigeführt zu haben. Der Bericht und die anschließende heftige Diskussion hatten unter anderem zu Rücktrittsforderungen gegen Tony Blair geführt. David Kelly gehörte zu den größten Kritikern an der britischen Informationspolitik.
Schon wird spekuliert, wie es im politischen London nun weitergeht. Einige Kommentatoren erwarten eine Regierungskrise, von der Blair sich schwerlich erholen dürfte. Der Gescholtene - auf Kuscheltour in Washington unterwegs - kündigte an, gleich nach seiner Rückkehr eine unabhängige Untersuchung durchführen zu lassen.
Die äußeren Umstände von Kellys Tod sind indes merkwürdig. Er verließ sein Haus Haus in Oxford, um, wie er seiner Frau sagte, spazieren zu gehen. Bei stömendem Regen und ohne Schirm. Als er nach Mitternacht nicht zurückgekommen war, verständigte seine Frau die Polizei. Die fand dann auch die mutmaßliche Leiche Kellys in der Nähe seiner Wohnung.
Spekulationen
Hat er sich selbst umgebracht? Zwar musste er sich kürlich vor dem Unterhaus wegen der Vorwürfe verantworten, um seinen Job aber hätte er sich keine Sorgen machen müssen, so der Parlamentsausschuss.
Mord? David Kelly war nicht die Hauptquelle der BBC. Zu diesem Schluss kam der Ausschuss nach abschließender Beratung. Weshalb also hätte jemand ihn aus politischen Gründen ermorden sollen, aus Angst vor weiteren Enthüllungen?
Spekulationen in diese Richtung gehen in Richtung des Unbeweisbaren. Die Verschwörungestheoretiker werden sicherlich eine Version finden, die den Vorfall in die globale Weltverschwörung einordnet.
Wir hingegen dürfen auf die angekündigte Untersuchung gespannt sein. Doch wer sollte sie unabhängig, wie versprochen, untersuchen, wenn nicht die Polizei? Private Ermittler? Eher unwahrschienlich. Blieben da noch die Amerikaner. Die könnten ein Expertenteam schicken. Aber wären die wirklich unabhängig?
Die Geister, die sie riefen...
Vielleicht erweist sich Tony Blair mit seinem Versprechen ja auch einen Bärendienst. Nachdem in den vergangenen Tagen der Druck auf Blair und Bush gewachsen war, nachdem beide sich mit immer fadenscheinigeren Argumenten der Verantwortung entziehen wollten und alle Schuld auf den Geheimdienst schoben, stehen beide Politiker einer misstrauischen Öffentlichkeit gegenüber. Dass sich beide in ihren Darstellungen widersprechen trägt nur dazu bei, Gerüchte zu schüren und Stimmung zu machen: Bush hatte eingeräumt, die Berichte über irakische Waffenkäufe im Niger seien falsch, während Blair an dieser Version festhält.
Blair, der sich in Washington vor dem Repräsentatnehaus feiern ließ, sich die Wunden lecken und schließlich mit dem Kollegen Bush zu neuem Selbstvertrauen finden wollte, kommt also nicht zur Ruhe.
Die Geister haben ihn erneut heimgesucht diesmal in Form des toten David Kelly und er muss hoffen und bangen, dass die Ermittler nicht den großen Dschinn aus der Flasche lassen. Bush dürfte Blairs Hoffnungen teilen, denn in Amerika steht der Wahlkampf vor der Tür.
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