e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 1930 )


Rechtsextremismus

Jung, weiblich, rechts

Autor :  e-politik.de Gastautor
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Bei der Demo gegen die Wehmachtsausstellung in München finden sich kaum kahlrasierte Männer. Von Daniel Erk.


Der Marienplatz zu München liegt im warmen, gelben Schein der Beleuchtung des Rathauses. Der Fön der Alpen hat die Luft erwärmt und obwohl es Mitte Oktober ist, sind die Temperaturen sehr angenehm.
Es ist Freitagabend, letzte Menschen bummeln durch die Einkaufsstraße. So auch ich. Vor dem Rathaus ist eine Menschenmasse, geteilt von rot-weißen Gittern. Auf der einen Seite ein buntes Völkchen von vielleicht 400 Demonstranten - auf der anderen Seite, mit dem Rücken zum Rathaus, protestieren etwa dreißig Nationalgesinnte gegen die Wehrmachtsausstellung, die dieser Tage in überarbeiteter Fassung in München zu sehen ist.

"Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht"

Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellungen gab es zuhauf, auch in München ist dies nicht der erste Protest. Interessant wird die Szenerie durch die Demonstrierenden: Dreiviertel von ihnen sind sie jünger als 20, ein Drittel ist weiblich. So stehen an diesem Freitagabend 16-Jährige Mädchen mit klobigen Buffaloturnschuhen, Schlaghosen und Zungenpiercings auf dem Marienplatz und schreien lauthals: "Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht." Es klingt wie die Schlagrufe von Fußballfans. Ein verwirrender Anblick.

Auch wenn Die Zeit vor Kurzem zu berichten wusste, dass Frauen und Mädchen in rechtsradikalen Kreisen zunehmend eine Rolle spielen, eigene Zeitschriften herausgeben und in Onlineforen (beispielsweise zu korrekter germanischer Namensgebung) debattieren, sind die Bilder und Vorstellungen, die ich von Neonazis habe andere: Neonazismus ist für mich in gewisser Weise noch immer Männersache. Den Reiz von Gewalt und Hierarchie, das Bedürfnis an Selbstwertssteigerung, Machterleben und die Unfähigkeit Ärger verbal zu lösen, hatte ich bis dato nur heranwachsenden Männern zugeordnet.

Hier stehen Mädchen, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals ein Gewehr in die Hand nehmen müssen, gering ist.
Hier stehen Mädchen, die durch ihre späte Geburt keinen Krieg miterlebten und die dennoch DIN A2 große, fehlerhafte Schilder zur Ehre der deutschen Wehrmacht in die Luft halten. Hinter ihnen und ihren männlichen Mitstreitern stehen vielleicht fünf Kahlköpfige, etwas über 20 Jahre alt. Sie tragen Armbinden in Frakturschrift: Ordner.

Biedermann und Brandstifter

Zu 2ordnen" haben sie unter anderem einen jungen Mann in Tracht, der hinter der Reihe mit den Schildern auf und ab marschiert und weit sichtbar eine bayrische Fahne schwenkt. Im Hintergrund stehen drei Männer, zwei ältere, unauffällig gekleidete, die später in der S-Bahn nicht mehr von Familienvätern und braven Beamten zu unterschieden sind - und einer mit Bomberjacke, kurzen Haaren, Schnurbart und wütendem Blick. Er gibt mit lauter Stimme die Parolen vor. Ein Führerklischee.

Das alles wirft Fragen auf: Weshalb sind diese Mädchen hier - kommen sie aus nationalistischen Familien, wurden sie von ihren Vätern nationalistisch erzogen? Sind sie ihren Freunden gefolgt? Oder unterschätze ich die Mädchen ob ihre Kleidung und sie sind aus eigenem Antrieb und Interesse bei dieser Demonstration gelandet?

Ich versuche die Reihe der Schilder zu lesen, auf denen der selbst betitelte "Nationale Widerstand" seine Position zu Wehrmachtsausstellung kund tut. Doch die Polizisten versperren die Sicht und die Gegendemonstranten weichen keinen Meter von den Absperrgittern. Ich betrachte Einzelne in der Gruppe, überlege oft, ob ich sie auf der Straße als Nazis erkannt hätte.

"Aber was soll man machen?"

Dann ist es 21 Uhr. Die Polizisten schließen die Reihen und bilden eine Kette um den Abgang in die U-Bahn freizuhalten, durch den die dreißig Rechtsradikalen sogleich verschwinden. Nach ein paar Minuten stehen nur noch etwa 200 Polizisten in langen Ketten um die Antifaschisten und in einsatzbereiten Blöcken und die 400 Gegendemonstranten auf dem Marienplatz.

Direkt vor mir steht eine türkischstämmige Polizistin. Sie sieht sehr erschöpft aus. Ich frage wie es ihr in diesem Moment geht, wenn sie Neonazis beschützen muss. "Scheisse", sagt sie, "aber was soll man machen?"

Info:
Für Freitag, den 25. Oktober 2002 ist nach Auskunft der Münchner Stadtverwaltung wieder eine Genehmigung einer Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung beantragt worden.





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