e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 851 )


Programm-Kritik

Thomas Freitag

Thomas Freitag: Millionär in 98 Minuten

Autor :  Claus von Wagner
E-mail: redaktion@e-politik.de

Das Programm hält nicht, was es verspricht: statt Superrendite gab's rote Zahlen. Eine Bilanz von Claus von Wagner für e-politik.de.


Thomas Freitag hat mit diesem Programm vollendet was er in seinem vorherigen schon angedeutet hatte. Die einmal von Werner Schneyder beschriebene „Kabaresignation". Freitag steht schon gut die Hälfte seiner inzwischen 51 Lebensjahre auf der Bühne. Die meiste Zeit davon als Kabarettist. Ist es da ein Wunder, dass auch die Wut älter wird? Bekannt geworden war er durch seine treffsicheren Parodien, Mitte der Neunziger jedoch war Schluss damit. Ein künstlerischer Neuanfang sollte her und so verzichtete Thomas Freitag von da ab ganz auf all die liebgewonnen Kohls, Strauß' und Brandts dieser Welt, denen er bis dahin so gekonnt seine Stimme geliehen hatte. Der Komödiant, wollte hinter seinen politischen Pappkameraden zum Vorschein kommen, wollte ohne Maske spielen. Aber was? Kabarett?

Nein, Freitag möchte „engagierte Unterhaltung" bieten, wie er es nennt. Keine großen Experimente und so wenig Politiker parodieren wie möglich. So ist das vom Hausautor des Düsseldorfer Kom(m)ödchens (Dietmar Jacobs) getextete Programm „Millionär in 98 Minuten" tatsächlich maßgeschneidert für ihn. Am 27. November hatte es Premiere bei der Münchner Lach- und Schiessgesellschaft. Keine großen Experimente, wenig Politparodien, bloß die engagierte Unterhaltung, die wollte nicht so recht gelingen.

Börsensingle in Bad Breisig

Das Stück dreht sich um die Liebe. Und das in einer Zeit, in der das Buch "1000 Steuertricks" bekannter ist als die Bibel und selbst Jesus sein Letztes Abendmahl wahrscheinlich als Geschäftsessen absetzen würde. Sparkassenmitarbeiter Frank Weber („Großes W, kleiner Eber") soll einen Vortrag über das Lieblingsthema der Börsengeneration halten. Doch statt Finanzmärkte zu analysieren spricht er lieber über sich selbst. Einsam ist er, Single. Statt Abenteuerlust verspürt er Lebensfrust, denn mit einem Aquarium voller Zierfische und Fotos aus dem Urlaub in Bad Breisig kann man bei Frauen heutzutage nicht mehr landen. Und so bleibt Webers Zuneigung zur Kollegin Fräulein Lenz zunächst unerwidert. Erst nachdem er dem Tod zweimal von der Schippe gesprungen ist, darf Frank Weber in den Himmel der Liebe entschweben. Zwischendurch hat er seine eigene Bank beklaut, einen schrecklichen Kinoabend mit Fräulein Lenz hinter sich gebracht, seine Normalität verflucht und Fernsehen geschaut.

Doch Mitleid mit der geschundenen Kreatur mag einfach nicht aufkommen. Die Autoren konnten sich nicht recht entscheiden zwischen poetisch-literarischen Betrachtungen und politischem Kabarett. Das allein wäre nicht zu kritisieren, wenn die Mischung stimmen würde. Nur: Webers gedankliche Ausflüge in seine Kindheit sind - verglichen mit denen eines Josef Hader („Privat") – nicht stark genug, um menschliches Elend zu beschreiben, die Handlung des als Mini-Drama angelegten Stückes ist zu einfach strukturiert und die verschiedenen Charaktere nicht lebendig genug, um mehr zu sein als stereotyp. Als kabarettistische Rahmenhandlung wäre so etwas noch akzeptabel, nur leider tragen auch die Inhalte das Programm dramaturgisch nicht über die volle Distanz. Die politischen Seitenhiebe kommen nur als harmlose Streicheleinheiten daher: Die Grünen werden zur AG, Deutschland zum Opportunisten im Globalisierungswahn und Schröder arbeitet angeblich zu 51 Prozent für die CDU. Da hilft es auch nichts mehr, dass der Tod höchstpersönlich in einer bläulich ausgeleuchteten Szene ein wenig Farbe ins triste Kammerspiel bringt.

Natürlich hat das Stück seine Momente. Immer dann, wenn der ewig herumjammernde Frank Weber durch den spielfreudigen Freitag ersetzt wird. Dann wird es komisch. Wenn Tod sich in Humphrey Bogart Pose wirft, ein Pfarrer die Beichte einfach umdreht oder Webers Sparkassenkollege Feuermann schlichtweg versucht zu grillen. Bei all diesen Szenen handelt es sich um Dialoge zwischen zwei oder mehreren Partnern. Das ist die eigentliche Stärke von Thomas Freitag. Allein durch Stimmwechsel verschiedene Charaktere auf die Bühne zu zaubern. Wenn er sich in Sekundenschnelle durch einen typischen deutschen Fernsehabend zapped, ohne Übergang zwischen Kohl, Reich-Ranicki, Tagesschau und 7Tage-7Köpfe hin- und herschaltet, dann gelingt ihm für einen kurzen Moment eine atmosphärische Dichte, um die ihn das Programm ansonsten nur beneidet.

Fazit

Thema Wirtschaft gestreift, die Politik links liegen gelassen, ein menschliches Schicksal herbeigeredet: Routiniert präsentierte Hausmannskost. So das Urteil nach 98 Minuten Thomas Freitag. Schade, da hat jemand die eigenen Stärken als künstlerisch verbraucht hingestellt und freiwillig in der zweiten Reihe Platz genommen. Die Autoren dieses Stückes haben sich vielleicht zu sehr auf alte ausgetretene Pfade verlassen. Freitag als Mercedes Benz unter den Kabarettisten: Anstatt zu überholen fährt er nur gemütlich auf der mittleren Spur. Mehr Mut zum Überholen möchte man wünschen, dann kommt die Lust am Kabarett vielleicht wieder von ganz alleine. Blinken alleine reicht nicht. Bis dahin bleibt zu vermerken: Es gibt Hoffnung: Die Wut scheint noch nicht ganz erloschen. Als Zugabe gab es keinen launigen Rausschmeißer, sondern eine böse Mahnung. Ein Land in dem die Empörung über steigende Benzinpreise höher ist, als über einen erschlagenen Asylanten macht (nicht nur) Thomas Freitag Kopfzerbrechen. Auch wenn hier die Polemik die Analyse überwiegt: Das wäre doch was für's nächste Kabarettprogramm? Die Wut wartet schon...




„Millionär in 98 Minuten" - Ein satirisches Kammerspiel von Dietmar Jacobs
Textmitarbeit: Christian Ehring, Martin Maier-Bode
Regie: Horst – Gottfried Wagner

Foto: Copyright liegt bei www.lachundschiess.de




Weiterführende Links:
   Lach- und Schiessgesellschaft München: http://www.lachundschiess.de
   Verlag und Tonaufnahmen: http://www.conanima.de


© 2003 - e-politik.de - Der Artikel ist ausschließlich zur persönlichen Information bestimmt. Weitergabe an Dritte nur nach schriftlicher Genehmigung.