e-politik.de - Artikel
( Artikel-Nr: 1669 )
Die Prag - Tagebücher: Letzte Folge Autor : e-politik.de Gastautor Wenn einer eine Reise tut... Studentin Joyce Mariel berichtet zum letzten Mal für e-politik.de von ihrem Erasmus-Studium in Prag. Das Ende eines kleinen elektronischen Tagebuchs. Meine Lieben,
demonstrieren auf Tschechisch: Man nehme einen möglichst alten Besen und binde an selbigen ein morsches Brett, das man vorher weiß gestrichen hat und auf das man möglichst ungeordnete Parolen wie "Nein zur EU!" und "Wir sind ein souveränes Land!" geschrieben hat und das dann mitten in der eigenen Brandrede publikumswirksam zerbricht. So bewaffnet gehe man auf den Wenzelsplatz (wenn Tschechen von Politikern etwas wollen gehen sie immer auf dem Wenzelsplatz, das war schon immer so und wird sich nicht ändern, es sei denn, sie reißen den Wenzelsplatz ab) auf eine Wahlveranstaltung der ODS.
Zwei Opas in Stereo 2002 ist auch in Tschechien Superwahljahr und die ODS (die Konservativen) betreibt auffallend penetrant EU-freundlichen Wahlkampf, was mich deutlich wundert, wenn man sich die tiefsitzenden Zweifel des Wahlvolks anhört und dabei meine ich nicht nur den Mann mit dem
"Do-it-yourself" Banner. Die größte Befürchtung für die Menschen hier scheint zu sein, dass alles viel teurer wird und sie alle wegen dem EU-Beitritt verarmen. So haben es mir zumindest zwei zahnlose Opis dargestellt, die stereo auf mich eingeredet haben. Zwischenruf von Opa 1: "Ja und was hilft mir die ganze EU, wenn ein bramborak (örtliche Variante des Kartoffelpuffers) 30 Kronen (90 Cent) kostet!?" Der Hauptredner hat nur immer wieder versucht, die Sorgen der Leute zu zerstreuen, indem er auf die erfolgreichen (?) Beispiele von Spanien und Finnland aufmerksam gemacht hat. Zu Finnland kann ich nur sagen: wenn die Finnen, die ich hier kennen gelernt habe, in irgendeiner Weise repräsentativ für ihr Land sind, haben wir bald einen EU-Partner weniger, weil die wenigen Finnen alle an Leberzirrhose gestorben sind. Aber seit Berlusconi wissen wir ja, dass Finnen wenigstens qualifiziert genug sind, eine Lebensmittelbehörde in ihrem Land zu beherbergen.
Aber ich schweife ab. Zu Spanien kann ich nur sagen, dass sich speziell manche Ecken in Andalusien durchaus heute schon mit Tschechien vergleichen lassen. Mit dem Transformationserfolg, den Spanien gemacht hat, hatte der Hauptredner trotzdem recht. Und natürlich gab es auf der Wahlkampfveranstaltung "svarak" (Glühwein ohne Gewürze) für alle.
Rezepte
Als die Versammlung sich auflöste, konnte Opi 1 immer noch nicht aufhören, mir von
seinem bramborak zu erzählen. Es ist vielleicht zu einfach, Vergleiche zwischen bramborky und Kartoffelpuffern zu ziehen, denn es gibt einen entscheidenden Unterschied: DEN KNOBLAUCH! Ich meine, es ist ja verständlich, mehr Knoblauch ans Essen zu tun, Transsylvanien ist ja schließlich nicht weit. Aber wer dachte, Italiener sind die Knoblauchweltmeister, hat sich gründlich getäuscht. Hier wird alles erdenkliche mit "cesnek" gewürzt: Salate, Fleisch, Beilagen und Suppen. Der Gipfel ist die KNOBLAUCHSUPPE! Fleischbrühe mit Gemüse aufkochen und soviel Knoblauch wie möglich reinschmeißen: fertig ist die "cesneska polevka"! Vampire, die jemanden nach dem Genuss dieser Suppe heimsuchen wollen, fallen garantiert tot um. Aber ich möchte mich wirklich nicht beschweren, tschechisches Essen hat für die Liebhaber deftiger Hausmannskost und leckerer Mehlspeisen einiges zu bieten: mein Favorit ist bis heute die "antidepressive Waffel". Himmelsphänomene Nur sind die Portionen um einiges größer. Ich habe hier mal einen kleinen Jungen, der etwa acht Jahre alt war, zwei riesige Schnitzel verputzen sehen. Sind die Portionen mal kleiner, handelt es sich um einen physikalischen Trick. Ihr kennt alle das astronomische Phänomen der weißen Zwerge. Besagte Himmelsphänomene bringen es fertig, auf engstem Raum möglichst viel Materie zu versammeln. Genau der selbe Effekt tritt ein, wenn man in Tschechien kleine Portionen bestellt, man fühlt sich, als ob man gleich durch den Restaurantboden fallen würde. Da ist der Gervais Obstgarten Vergleich durchaus angebracht. Trotzdem kennt man als Süddeutscher vieles von daheim. Angefangen bei den Knödeln. Sakra! Aber es gibt noch viel mehr Gemeinsamkeiten zwischen Bayern und Tschechen. Tschechen fluchen bayerisch! Als ich letztens so durch die Strassen schlenderte, ist einem Straßenkehrer hinter mir etwas runtergefallen, was er mit einem deftigen "Sakra!" kommentiert hat. Unser "Jessasmaria!" weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem tschechischen "Jezismaria!" auf. Auch sonst gibt es gerade in der Umgangssprache mehr deutsch klingende Wörter als man glaubt.
Beispiele? Spreizovat, flaschka, faijfka, schpiegl und Kamin. Woher ich das alles weiß? Ich habe einen neuen Tandempartner, der mir Tschechisch beibringt. Und an ihm zeigt sich auch eine weitere bayerisch-tschechische Verbindung: er heißt nämlich Alois. Abschied So, meine Lieben, das war die letzte Mail aus der goldenen Stadt. Nächsten Sonntag geht's für mich nach Hause, der schnöde Mammon ruft. Ich hab hier die tschechische Volkswirtschaft etwas zu doll gefördert und jetzt bin ich A-B-G-E-B-R-A-N-N-T. Das wars von Joyce, ich hoffe, wir sehen uns alle bald. Fortsetzung folgt... leider nicht. Foto: Joyce Mariel / e-politik.de
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Na shledanou
Zur Folge 7 der Prag - Tagebücher