e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 830 )


Kultur, Kultur, Kultur - Leitkultur?

Die Antwort auf die Debatte oder die Debatte als Antwort

Autor :  Nikolaus Röttger
E-mail: nroettger@e-politik.de

Nikolaus Röttger spricht sich für eine Debatte um Deutschland aus, damit künftige Herausforderungen angegangen werden können.


Eigentlich geht es doch gar nicht um den Begriff der Leitkultur . Es kann ja jeden einiges an diesem Wort stören. Sei es das "Leiten" oder sei es die "Kultur". Im Kern geht es doch aber um die Frage nach verbindlichen Werten in unserer Gesellschaft. Und diese verbindlichen Werte einer Gesellschaft kann doch niemand negieren - egal aus welcher Ecke des Parteienspektrums er oder sie kommt - sind sie doch die Basis eines jeden Zusammenlebens.

Es geht also nicht um die Frage, ob es verbindliche Werte geben soll, sondern darum, was diese verbindlichen Werte sind.
Wer sich in der Diskussion an dem Wort Leitkultur fest beißt, der spielt der CDU nur in die Hände. Jedesmal, wenn das Wort Leitkultur bemüht wird, kommt die CDU ins Spiel, in die Medien und besetzt das Thema mit diesem einen Wort - und mit ihrer Interpretation. Aber die Lösung beziehungsweise die Antwort auf die Debatte hat auch eine CDU nicht parat.

Die Interpretation ist offen. Die Frage nach den Werten unbeantwortet. Deutsche Werte? Deutsche Wertekultur? Deutsche Zivilkultur? Was ist das? Gibt es das?

Menschen, Feuilletons und Berliner Republik

"Das Thema bewegt die Menschen", damit hat die CDU recht. Nicht nur die angelaufene Diskussion in Politik, Medien, Kunst und Wissenschaft beweist dies. Aber gerade deswegen darf es kein Thema sein, mit dem sich nur die CDU auseinandersetzt. Dafür ist es zu wichtig. Eine umfassende Diskussion in der gesamten Gesellschaft ist ebenso notwendig wie eine Beantwortung der offenen Fragen.

Die Kultur-Debatte sowie die Frage nach dem "Deutschsein" ist kein neues Phänomen. Oft schon wurden die Feuilletons deutscher Zeitungen bemüht. Dass die Debatte gerade jetzt wieder hoch kocht, ist kein Wunder. Dafür gibt es mehrere Gründe: Europäisierung, Globalisierung, Zuwanderung. Die demografischen Zahlen in Deutschland machen eine Zuwanderung geradezu notwendig, will man das heutige Soziale System halten. Kinder und Enkelkinder ehemaliger Gastarbeiter aus nicht-deutschen Kulturkreisen sind in Deutschland aufgewachsen, gehören zu Deutschland, haben als Deutsche das Recht in Deutschland mitzureden und geben neue kulturelle Impulse. Gleichzeitig ist eine neue Generation von Politikern an der Macht. Politiker aus einem wiedervereinten Deutschland - bunt zusammengesetzt aus Ost und West. Politiker mit einem neuen Selbstbewußtsein. Ein Indiz ist unter anderen der selbstbewußte Auftritt der rot-grünen Regierung in der "neuen Berliner-Republik". Diese Veränderungen, neuen Gegebenheiten und künftigen Herausforderungen schreien geradezu nach einer Debatte um die Identität Deutschlands.

Deutsche Verantwortung

Es gibt noch einen Grund, warum sich alle demokratischen Kräfte mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Gerade weil es die Menschen bewegt. Das Thema "Deutschland" darf auf keinen Fall den hohlen Phrasen rechtsextremer Parteien und dummen schlägernden Glatzen überlassen werden. Intoleranz und Gewalt gehören nicht in unsere Gesellschaft und dürfen auch nie wieder hinein gehören.

Deutschlands Verantwortung ist groß. Wir müssen die Verantwortung für die peinliche und schreckliche Vergangenheit des Naziterrors übernehmen. Immer wieder müssen wir uns damit auseinandersetzen. Diese Vergangenheit in unserer Gegenwart präsent halten, damit sie nie wieder - egal wo und wann - passieren kann. Das darf Deutschland aber gleichzeitig nicht daran hindern, nach Identität und Werten zu suchen; immer wieder die Rolle Deutschlands zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu beantworten.

Das Ausland versteht die Selbstzerknirschungsorgien der Deutschen über das Deutschsein sowieso nicht. Egal wohin man blickt: Jede Nation hat einen gesunden Patriotismus. Typisch deutsch hingegen ist, wenn in Diskussionen mit Nichtdeutschen, der Deutsche über den Charakter des Deutschen an sich herfällt. Dennoch: Das Ausland darf bei einer Debatte um das typisch Deutsche nicht unbeachtet bleiben. Diskussionen wie die jetzige werden im Ausland anders beurteilt und kritisch beäugt.

Eine andere Frage wirft sich auf: Was ist typisch deutsch? Hermann Bausinger beginnt sein Buch "Typisch deutsch - wie deutsch sind die Deutschen?" (übrigens ein typisch deutscher Titel) mit einem Kapitel über das Auto, "der Deutschen liebstes Kind". Anschließend geht es um Sandburgen und Krawatten. Typisch deutsche Charakterzüge? Ich denke, nicht jeder Deutsche will sich in diese selbst-satirische und doch vielleicht realistische Charakterisierung einordnen lassen. Der Grund ist wahrscheinlich ganz einfach. Den Deutschen an sich gibt es nicht.

Kühe links und rechts der Isar

Es gibt Sachsen, es gibt Pfälzer, es gibt Westfalen, es gibt Bayern. Und selbst der Bayer unterscheidet sich vom Bayern. Der Niederbayer vom Oberbayern. Der Oberbayer aus München vom Oberbayern aus ländlichen Gegenden. Der Bauer aus dem Dorf links der Isar vom Bauern rechts der Isar, weil die Kuh links der Isar anders gescheckt ist, als die rechts der Isar. So einfach ist das. So banal. Und dennoch gibt es eine deutsche Kultur.

Die deutsche Kultur gehört aber wiederum zur europäischen Kultur. Genauso wie die französische, die italienische, die polnische oder die tschechische. Das ganze ist ein permanentes Wechselspiel verschiedener Kulturen, die sich gegenseitig ergänzen, neue Impulse geben, prägen, formen, kaputt gehen und wieder erstehen. Ein fortlaufender Prozess, in der sich jeder Kulturkreis - und sei er noch so klein - wieder neu definieren und finden muss. Das gilt auch für die deutsche Kultur und deutsche Werte. Man muss wenigstens versuchen, sie zu definieren und greifbar zu machen.

Hier verbirgt sich die Chance, Antworten auf Deutschland in einem vereinten Europa, das mit Globalisierung und Zuwanderung konfrontiert wird, zu finden. Diese Antworten werden nicht endgültig sein, sein können. Genau wie Kultur nicht endgültig sein kann. Die Antwort ist vielleicht schon die Debatte. Darum lasst sie uns führen, damit die Herausforderungen der Zukunft angegangen werden können.




Weiterführende Links:
   Die (Leit)Kultur-Kontroverse bei e-politik.de


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