e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 650 )


Skandinavien

Studentin mit typischer Kopfbedeckung

Wappu - Fasching auf finnisch

Autor :  Isabel Hartmann
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Erster Mai: Rote Fahnen und Gewerkschaftsdemonstrationen, rote Nelken und gewalttätige Ausschreitungen - das verbinden viele mit dem Tag der Arbeit. Nicht so in Finnland.


Der erste Mai heißt hier Wappu und ist Anlaß für ein riesiges nationales Volksfest. Die Gründe für das landesweite Großbesäufnis sind so zahlreich wie die Bräuche: Die Finnen feiern den Frühlingsanfang, den Tag der Arbeit, das Semesterende und das Leben zugleich. Bunte Verkaufsbuden, überfüllte Cafes und Kneipen und Alkoholleichen dominieren zwei Tage lang das Bild größerer Städte wie Tampere, Turku und Helsinki. Während anderswo die Arbeiter und ihre Belange im Mittelpunkt stehen, geht im nordöstlichsten Land der EU die ganze Bevölkerung auf die Straße- insbesondere die Studenten: sie feiern den ersten Mai mit Paraden, Erstsemestertaufen und Heringsfrühstück.

„Wappu hat eigentlich schon vor zwei Wochen angefangen", sagen Christoph und Frank. Die beiden Austauschstudenten erleben den ersten Mai zum ersten Mal in Finnland. „Ich habe monatelang von Wappu gehört", sagt Christoph aus Deutschland. „Jetzt bin gespannt wie es wirklich abläuft." Und Frank aus Österreich meint, daß man „beim Mitmachen fremde Sitten am besten kennenlernt." Mit vielen finnischen Traditionen haben sie schon Bekanntschaft gemacht. Für Wappu werden sie deshalb auch ihren „halarit", einen traditionellen, abwaschbaren Studentenoverall, aus dem Schrank holen. Und sie planen die Woche vor den Hauptfeierlichkeiten ganz professionell mit Hilfe des inoffiziellen Wappu-Studentenkalenders. Das Angebot ist groß: Die zwei Wirtschaftsstudenten können zwischen Katakomben-Feiern, Bier-Wettläufen und zahlreichen Sauna-Parties wählen.

Studenten mit Mütze statt Bauern auf Hexenjagd

„Die Hauptsache von Wappu war, Krach zu machen", sagt Pertti Haapala, Professor für finnische Geschichte an der Universität Tampere. „Das ist bis heute gleich geblieben". Was sich geändert hat, sind die Gründe für den großen Rabatz. Die Wurzeln von Wappu erstrecken sich bis ins Mittelalter und nach Westeuropa. Name und Bräuche des größten finnischen Feiertages basieren auf dem Tag der heiligen Walburga und der Walpurgisnacht. Doch während vor mehr als 300 Jahren Bauern mit Lärm und Getöse die Hexen von ihrem Vieh fernhalten wollten, machen heutzutage hauptsächlich Studenten die Straßen unsicher. Denn seit Anfang des 19. Jahrhunderts ist Wappu auch ein Studentenfest. „Im Mai endet die Universität und der Sommer fängt an", sagt der Historiker Haapala. „Das wurde und wird mit viel Krach und Alkohol gefeiert." Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in Finnland, wie in vielen anderen europäischen Ländern, der erste Mai als Tag der Arbeit gesetzlicher Feiertag.

„Wappu ist in Finnand so wichtig, weil viele verschiedene Traditionen zusammen kommen", glaubt der Geschichtsprofessor. Doch bis in die 80er Jahre liefen die zwei wichtigsten Wappu-Veranstaltungen, die Maidemonstrationen der Arbeiter und die Studentenfeste, noch klar getrennt ab. Heute seien die Arbeiter an Wappu weniger sichtbar. Das erklärt sich Haapala mit der abnehmenden Präsenz der Gewerkschaften und dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder. „Wappu ist kommerzieller geworden", findet er. „Das ist Fasching in Finnland."

Mögen die verstopften Straßen, die vielen bunten Verkaufsbuden und die angeheiterten Menschen an Karneval in Rio, Venedig und Köln erinnern, so ist die Kostümierung eher einheitlich: die „ylioppilaslakki" ist am ersten Mai Pflicht. Früher durften nur Studenten diese weiße Kappe mit schwarzem Schirm und goldenem Emblem tragen. Erst zum Semesterende, an Wappu, wurden die Kappen aufgesetzt und dann den ganzen Sommer lang getragen - die weißen Mützen galten als wichtiges Statussymbol und Zeichen für eine vielversprechende Karriere. Mittlerweile nehmen jedes Jahr mehr als 30 000 Gymnasiasten die Studentenmütze mit dem Abiturzeugnis in Empfang. Und tragen diese nicht nur am ersten Mai, sondern auch an anderen Feiertagen. Trotzdem spielen Mützen an Wappu immer noch eine wichtige Rolle. Fast 20000 Menschen sind jedes Jahr in der Nacht zum ersten Mai im Zentrum von Tampere unterwegs. Denn dort hievt um halb eins ein Kran eine überdimensionale „ylioppilaslakki" auf den Kopf einer Statue. Das ist das Zeichen für die „teekkari", die Studenten der technischen Universität ihre „teekkarilakki" aufzusetzen - allerdings nicht ohne davor Sekt aus der Kopfbedeckung getrunken zu haben. Die Teekkari-Kappe unterscheidet sich von den gewöhnlichen Mützen nur durch einen schwarzen Quast, der von der Mütze baumelt; und sie ist doch ein Symbol für die eigenständige Wappu-Kultur der technischen Studenten.

Die Polizei drückt ein Auge zu, während Erstsemester im Fluss versenkt werden

Denn mit der Gründung der Technischen Universität in den 60er Jahren mussten sich die Einwohner Tamperes an ganz neue Traditionen gewöhnen: „Die technischen Studenten haben lauter verrücktes Zeug mit sich gebracht", sagt der Historiker. Haapala. Tommi, „teekkari" im zweiten Jahr, ist da ganz anderer Meinung: „Wir Teekkari hatten schon immer sehr kreative und innovative Ideen", sagt der 21-Jährige und meint damit unter anderem die „teekkari-kaste", die Taufe der neuen Studenten im Fluß Tammerkoski. „Das gibt es nur in Tampere", sagt der angehende Elekroingenieur stolz. Nacheinander werden um die 1000 Erstsemester in diesem Jahr in einer großen Holzkiste mit einem Kran bis zum Bauch in das eiskalte Wasser getaucht. Um Kater und Erkältung vorzubeugen dürfen sich die Täuflinge vorher beim Heringsfrühstück stärken und sich hinterher in der Sauna aufwärmen. „Es ist ein Privileg dabei zu sein", erklärt der Wappu-Sekretär der Technischen Universität stolz, „und wer nicht mitmacht bleibt für immer ein Anfänger." Als Belohnung für seine ehrenamtliche Arbeit darf er dieses Jahr entgegen der Regeln auch als Viertsemestler an der Kaste teilnehmen. „Das wird definitiv das Beste an Wappu sein", schwärmt der „teekkari".

Dann ist für Raimo Tanner, den Polizeipräsidenten von Tampere, das Schlimmste schon vorbei. Denn der kritischer Höhepunkt ist für ihn und seine Leute ist der Abend vor Wappu: „Da wird die Einsatztruppe der Polizei fast verdoppelt, wir werden mit ungefähr hundert Männern und Frauen im Einsatz sein", sagt Tanner. „Und trotzdem drücken wir an Wappu ein Auge zu." Denn im letzten Jahr ist in Tampere nach New Yorker Vorbild die „zero-tolerance-policy" eingeführt worden. Kein Alkohol auf der Straße bedeutet das konkret - außer an Wappu. „Wenn die Leute einigermaßen gesittet trinken, sagen wir nichts", erklärt der Polizeipräsident. Auch er hat in den vergangenen Jahren Veränderungen bemerkt: „Früher war es ruhiger", meint der Ordnungshüter. „Jetzt wird der erste Mai immer mehr zu einem Frühlingsfest bei dem alle mitfeiern wollen." Und in Finnland gehört Alkohol zum Feiern wie das Rentier zum Weihnachtsmann. Das hat Folgen: Tanners Polizeitruppe muß sich an Wappu nicht nur um die Alkoholleichen im Stadtzentrum kümmern, sondern auch immer öfter zu Familienstreitigkeiten ausrücken. Trotzdem sieht der Polizeipräsident auch einen positiven Gegentrend: „Immer mehr Familien gehen einfach nur fein essen und trinken in Maßen", hat er während seiner dreißigjährigen Dienstzeit festgestellt. Es könne aber noch Jahrhunderte dauern, bis sich das Trinkverhalten der Finnen gänzlich ändere.

Frank und Christoph haben sich den lokalen Sitten angepaßt. „Beim Trinken lernt man die Finnen am besten kennen", hat Frank festgestellt, „weil sie dann endlich anfangen zu reden." Das gilt auch an Wappu. „Mal sehen wie ich fünf Tage durchfeiern überlebe", sagt Christoph. Frank macht sich um seine Trink- und Partykondition keine Sorgen: „Ich habe Erfahrung aus dem Ballermann 6", meint er zuversichtlich. Für Wappu-Sekretär Tommi ist nicht Alkohol, sondern die Zeit mit seinen Freunden das Wichtigste: „Nimm das Leben nicht so ernst!", ist für ihn die Botschaft von Wappu. Und der Polizeipräsident? Der feiert Wappu überhaupt nicht, sondern flieht aufs Land und hofft insgeheim auf schlechtes Wetter - denn dann bleiben viele Leute zu Hause.

Foto: Copyright liegt bei Außenministerium Finnland




Weiterführende Links:
   Universität von Tampere (englische Seite): http://www.uta.fi/y/english/index.html


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