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e-politik.de - Artikel
( Artikel-Nr: 944 )Transatlantisches Konfliktpotential: National Missile Defence Autor : Philip Alexander Hiersemenzel Es rumpelt in den transatlantischen Beziehungen. Reibungen innerhalb der Allianz zeichnen sich bei den amerikanischen National Missile Defense-Plänen ab. Philip Alexander Hiersemenzel zeichnet die Befindlichkeiten der NATO-Partner nach. Von der europäischen Öffentlichkeit und Diplomatie bis vor kurzem leichtfertig als "Spinnerei" abgewertet, sind die Pläne für dieses "Mini-SDI" bereits weit fortgeschritten. Eine Grundsatzentscheidung zur Installation erster Komponenten des Systems steht bereits in den nächsten Wochen an. Während die Amerikaner kurz davor stehen, Fakten zu schaffen, ist es für einen transatlantische Dialog über NMD schon fast zu spät. Dabei bergen die Pläne großen transatlantischen und internationalen Sprengstoff. Ende der nuklearen Abschreckung? An erster Stelle droht NMD die Mutually Assured Destruction (MAD) außer Kraft zu setzten. Dies ist die Grundgleichung der Stabilität in einer mit Langstreckennuklearwaffen reichhaltig bestückten Welt. Nach ihr kommt jeder Angriff mit Nuklear- oder anderen Massenvernichtungswaffen praktisch einem Selbstmord des Aggressors gleich, da der Angegriffene sich, wenn auch halbtot, mit ebenso großer zerstörerischer Gewalt rächen würde. Ein funktionierendes NMD gäbe daher dem Besitzer - zumindest theoretisch - die Möglichkeit, ungestraft anzugreifen. Ein neuer Rüstungswettlauf Zwar haben weder Chinesen, noch Russen - selbst verhasste Feinde wie der Irak - ernsthaft Grund, einen nuklearen Erstschlag durch die Amerikaner zu befürchten. Ein vor Angriffen geschütztes Amerika gewänne jedoch unzweifelhaft an relativer Stärke. Gerade China, das mit ca. 20 Interkontinentalraketen weit hinter Russland und den USA zurückliegt, fürchtet um sein Abschreckungspotential. Um im Zweifel sicher zu sein, dass wenigstens einige Raketen durch das NMD-Netz kommen, könnte sich Peking gezwungen sehen, drastisch aufzurüsten. Dies würde wiederum das regionale asiatische Gleichgewicht belasten und einen Dominoeffekt auslösen, an dessen Ende jener neue Rüstungswettlauf stünde, vor dem Jacques Chirac erst kürzlich warnte. Ende der transatlantischen Partnerschaft? NMD gefährdet aber auch direkt den Zusammenhalt innerhalb des nordatlantischen Bündnisses. Denn durch den exklusiven Schutz von amerikanischem Boden wären die Geschicke von Europa und USA nicht länger zwingend auf Gedeih und Verderb aneinander geknüpft. Gerade diese Verknüpfung ist jedoch der Kern jeder Allianz. Ohne sie kommt es zwangsläufig zur großen transatlantischen Sinnfrage. Dennoch bekräftigte der neue Verteidigungsministers Rumsfeld erst letzte Woche erneut die amerikanische Entschlossenheit: Notfalls würden die USA den mit der UdSSR in den siebziger Jahren geschlossen Atomwaffensperrvertrag auch unilateral kündigen - womit er im Übrigen eine Aussage seines Vorgängers wiederholte. Warum aber ist die mit Abstand stärkste Macht der Erde so erpicht auf ein derartig kontroverses Projekt? Der Grund für diese beharrliche Haltung der USA findet sich in dem neuen Bedrohungspotential, dem in das sich das Land ausgesetzt sieht. NMD als Schutz vor Terrorismus NMD soll in erster Linie Schutz vor Angriffen der ehemaligen rogue states (Schurkenstaaten) - seit neuestem politisch korrekt in states of concern umbenannt - dienen. Denn laut CIA-Analyse könnte bereits im Jahr 2015 mindestens ein solcher Staat oder auch eine transnationale terroristische Organisation über Massenvernichtungswaffen und die benötigten Trägerraketen verfügen. Fundamentalistische oder verrückte Anführer oder Diktatoren solcher Staaten und Gruppen - so die Logik weiter - ließen sich nicht von MAD abschrecken. Um die amerikanische Bevölkerung zu schützen, - da stimmen fast alle amerikanischen Politiker überein - sei es die Pflicht Washingtons, für einen eventuellen Angriff gerüstet zu sein. Hieraus lässt sich auch erklären, warum man sich selbst durch Zweifel an der technischen Machbarkeit von NMD kaum aufhalten lassen wird. Die bisherigen Versuche unter der Regierung Clinton verliefen aus Sicht des Pentagons zwar ernüchternd, - drei der vier unter Idealbedingungen standfindenden Tests schlugen fehl - bis 2015 werde man aber, so die Argumentation der Militärs, diese Probleme schon in den Griff bekommen.
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Ironischerweise sind es gerade die Amerikaner, die ihren europäischen Alliierten vorwerfen, ihre geplante eigenständige Krisenreaktionskraft berge eben jene Gefahr eines sogenannten strategic decoupling.
Global Trends 2015 - Analyse der CIA: http://www.cia.gov/cia/publications/globaltrends2015/index.html
US-Verteidigungsministerium: http://www.defenselink.mil/
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