e-politik.de - Artikel  ( Artikel-Nr: 640 )


Österreich sucht sich selbst?

Christoph Grissemann, Dirk Stermann

Zwei Desperados im Clinch mit Jörg Haider

Autor :  Armin Hirsch
E-mail: redaktion@e-politik.de

Offen und ohne Respekt dem Kärntner Regierungschef und FPÖ-Strippenzieher Jörg Haider die Meinung zu sagen, kann in Österreich derzeit ganz schön ins Auge gehen. Die Radio-Comedians Dirk Stermann und Christoph Grissemann haben es zu spüren bekommen.


Die beiden Kabarettisten und Radio-Comedians Dirk Stermann und Christoph Grissemann haben sich mit respektlosen Angriffen gegen "Personen des Zeitgeschehens" und mit Nonsens-Comedy einen Namen gemacht. Ihre Sendung "Salon Helga" auf FM 4 (ORF) hat längst über die Grenzen der Alpenrepublik eine treue Fangemeinschaft.
Im Oktober 1999 haben sie sich in gewohnter Manier über Jörg Haider geäußert: "Man müsste Haider erschiessen. Irgendjemand, der nur noch zwei Monate zu leben hat."

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sie wegen Aufruf zum Mord. Außerdem hat ihnen der ORF für eine bestimmte Zeit verboten, bei FM 4 live auf Sendung zu gehen.
Armin Hirsch hat sich für e-politik.de mit den Entertainern anläßlich ihres Auftritts "Scheißabend 1 1/2: jetzt noch schlechter" am 21. März 2000 im Münchner Atomic Cafe unterhalten.

e-politik.de: Wie kam es dazu, dass Ihr bei FM4 nicht mehr live senden dürft?

Grissemann: Wir sind seit sechs Wochen suspendiert, werden aber etwa Mitte April wieder senden. Wir haben ein skandalöses Interview gegeben, das sehr mißverstanden worden ist. Mehr darf ich nicht sagen, weil es ein schwebendes Verfahren ist.

e-politik.de: Hätte das Problem in Deutschland ähnlich auftauchen können, oder ist das eine österreichische Besonderheit?

Stermann: Ganz sicher hängt es stark mit dem Klima in Österreich zusammen. Ich glaube nicht, dass es in Deutschland in den Tagesthemen gekommen wäre, oder dass man gar im Parlament darüber diskutiert hätte, wie es in Österreich passiert ist.
Schlingensief ist in Deutschland mit einem ähnlichen Titel ("Tötet Helmut Kohl") auf Tour gegangen. Da ist überhaupt nichts passiert. Das ist natürlich in Deutschland ganz anders, weil die Situation in Österreich im Moment sehr angespannt ist.

e-politik.de: Als die ersten Vorwürfe kamen, seid Ihr relativ defensiv vorgegangen und habt Euch entschuldigt. In den letzten Wochen hat man gemerkt, dass Ihr Euch geärgert habt.

Grissemann: Natürlich ärgere ich mich, wenn ich als Kleingeld verwendet werde, um politisch Stimmung zu machen. Mich ärgert, wenn einem der Satiremantel ausgezogen wird und man auf einmal beim Wort genommen wird. Das ärgert mich. Ich arbeite seit zehn Jahren damit, haarsträubende Dinge zu sagen und nie ist mir etwas passiert. Nie hat das jemand tatsächlich ernst genommen. Und nur dieser eine Satz da mit "Haider erschießen und so", der wird auf einmal für bare Münze genommen. Alles andere, was man beruflich macht, wird ausgeblendet. Das ist eine Katastrophe. Das darf und kann so nicht sein! Ich bin ein ironischer Moderator und mir muss natürlich die Ironie in allem was ich sage zugestanden werden. Mich ärgert, dass ich als linksextremer Terrorist mit Clownsmaske gelte. So ist es einfach nicht.

Stermann: Und was hinzukommt ist, dass wir das sofort erklärt haben. Wir haben ja sogar ein E-mail an den Haider geschrieben, falls der jetzt echt glaubt, wir wollen ihn abknallen, erklären wir: Nein, natürlich nicht. Vielmehr können wir dann auch nicht tun. Wenn das dann aber trotzdem weiterhin ernsthaft steht, kommst Du einfach in die Situation, dass Du sagst: O.k., wir haben uns bei allen entschuldigt, wir haben alles getan.
Irgendwann müssen wir dann auch offensiver werden. Dauernd ein Büßerhemd anhaben zu müssen, gefällt mir auch nicht. Denn ich bin kein Büßer. Ich weiß auch nicht, wofür ich jetzt büßen sollte.

e-politik.de: Habt Ihr auch öffentliche Unterstützung bekommen?

Stermann: So wie es von der Verurteilungs-Front grotesk geworden ist, ist es auch von der Solidaritäts-Front grotesk geworden. Wenn Du dann aus Deutschland oder wie letzte Woche aus Frankreich Solidaritätsbekundungen bekommst, dann denkst Du Dir: Ich bin ja nicht Nelson Mandela! Auch weil wir normalerweise nicht so politisch arbeiten.
Wir sind halt einfach nur Zyniker oder sowas. Und letzte Woche hat sich in Paris so eine Humoristen-Solidaritätsfront gebildet, die mit uns zwei Wochen in Frankreich auf Tour gehen wollte. Da denke ich: Jetzt reichts. Auch mit der Solidarität, obwohl ich es sehr nett finde. Die nehmen uns alle zu ernst, auch die, die sich mit uns solidarisieren.

e-politik: In früheren Interviews habt Ihr nie ernsthaft geantwortet. Alles ist unter dem Unterhaltungsaspekt gelaufen. Plötzlich müsst Ihr Eure Scherze haarklein erklären. Wie findet Ihr das?

Grissemann: Das ist natürlich furchtbar, wenn Du auf einmal in der Situation bist, genau das tun zu müssen. Das möchte ich überhaupt nicht. Mich interessiert das alles überhaupt nicht. Ich möchte in Ruhe gelassen werden von all dem. Ich sehe auch keine Veranlassung, mich vor jedem erklären zu müssen. Wir müssen uns jetzt vor Leuten erklären, die nicht einmal wissen, wer Mike Krüger ist. Die kennen uns überhaupt nicht. Normalerweise diskutieren wir über verschiedene Humor-Genres. Jetzt müssen wir klarstellen, dass es überhaupt Humor ist, was wir machen. Da hat es überhaupt keinen Sinn mehr, irgendwie zu diskutieren. Man kann jetzt einfach nur sagen: Das war Ironie und bitte Schluß.

Foto: Christoph Grissemann, Dirk Stermann




Weiterführende Links:
   Die Salon Helga-Datenbank: http://stud3.tuwien.ac.at/~e9527429/salon.htm
   Radio FM 4 (ORF): http://fm4.orf.at/


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