Ein Cybercafé ohne Modem
Burma ist um eine Attraktion reicher: In der Hauptstadt Rangoon haben
Besucher die Gelegenheit, das weltweit erste Cybercafé ohne
Internetanschluss zu bewundern. Hier können von der Militärjunta
zensierte CD-ROMs genutzt und moderne Textverarbeitung geübt werden.
Das Einloggen in die wunderbare Welt des Web bleibt dem Gast jedoch
verwehrt. Zensur total, mit dem Staat als Betreibergesellschaft des einzigen
Internet Service Providers (ISP). Auf den "illegalen" Besitz eines
Faxgerätes oder Modems stehen 15 Jahre Gefängnis, das Regime
selbst präsentiert sich statt dessen als Technikfreund und begeisterter
Nutzer des neuen Mediums. Davon kann man sich zum Beispiel unter www.myanmar.com überzeugen.
Vorgekautes Internet
Von Weißrussland bis Sierra Leone, von Saudi-Arabien bis China, von
Kuba bis zum Kaukasus - in 45 Staaten wird der freie Zugang zum
allumspannenden Datenfluss massiv eingeschränkt, so das Ergebnis einer
Studie der französischen Journalistenvereinigung Reporters sans
frontières (RSF). Dabei verfahren die "Feinde des Internet" beinahe
stets nach demselben Muster: Um die eigene Bevölkerung vor "subversiven
Ideen" zu schützen oder die "nationale Einheit und Sicherheit zu
verteidigen" wird der Zugang nur über einen staatlich betriebenen und
kontrollierten Provider ermöglicht. In vielen Ländern ist der
Eintritt in die bunte Online-Welt offiziell verboten, zwanzig Staaten
praktizieren sogar eine offene Zensur.
Master and Server
So auch in Tunesien: Eine staatliche Internetagentur kontrolliert die
beiden einzigen Provider, die der Präsidententochter sowie einem
Regierungsmitglied gehören. Ein Leichtes also, zum Beispiel die
Homepage von Amnesty International zu blockieren und stattdessen auf eine
Gegenwebseite zu verlinken - betrieben von der PR-Agentur der Regierung. Zu
bewundern unter www.amnesty-tunisia.org. Die
Journalistenvereinigung RSF fordert die Zensoren des WWW auf, den staatlichen Online-Monopolismus
abzuschaffen, den Registrierungszwang für User aufzuheben, Filter zu
entfernen und die Vertraulichkeit von E-Mails zu schützen. Auf der anderen Seite setzen die Web-Zensoren ihre Zensur mit Mitteln des Cyberspace
fort.
Tradition versus Fortschritt
Technologische Rückständigkeit und archaisches
Autoritätsdenken ergeben die Brühe, die aus den Datenleitungen
schwappt: "Das Internet sprengt den traditionellen Rahmen, den es für
die Machtbeziehungen zwischen den Staaten und jenen gibt, die Informationen
produzieren", lautet das Resümee der 149-Seiten-Studie. Was nur bedingt
richtig ist: Welche Machtbeziehungen sollen in ihren Grundfesten
erschüttert werden, wenn vier Fünftel der Bevölkerung weder
über einen Telefonanschluss, geschweige denn über einen Rechner
verfügen? Welche tiefgreifenden Veränderungen innerhalb der
Machtstrukturen sollen von einer Bevölkerung ausgehen, die zur
Hälfte das Wort "Computer" nicht buchstabieren kann? Vielmehr
produziert sich in den "cyberdemokratischen
Schurkenstaaten" im Internet die autokratische Oberschicht selbst. Sie ist im Besitz der notwendigen Gerätschaften und
finanziellen Schmierstoffe.
Macht euch locker, Zensoren - Das Netz lockt Investoren!
Malaysia und Singapur sind um eine Attraktion ärmer: Seit sich
dort in den regimetreuen Köpfen die Einsicht durchgesetzt hat, dass mit
dem Netz der Netze Geld zu verdienen ist, lockern die Cyberzensoren ihre
Restriktionen. Damit scheint das Internet, so die RSF-Studie, für
totalitäre Systeme ein zweischneidiges Schwert zu sein: Das
ökonomische Argument gewinnt mehr und mehr an Bedeutung, Geld regiert
die Cyber-Welt. Weltweiter Warenaustausch, weltweites Wissen, weltweite
Werbung weichen die Angst der Online-Wächter vor politischer
Instabilität auf. Und das mehr als jede gut gemeinte
UN-Menschenrechtserklärung: Schließlich haben 14 der von RSF
vorgeführten Feinde des Internet das internationale Dokument
unterzeichnet, inklusive Artikel 19 (Schutz der Meinungsfreiheit). Der
Erfolg? Zu bewundern an jedem freien PC mit Internet-Anschluss.